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8. Mai 1952
Von Otto Grotewohl, Ministerpräsident der Deutschen Demokratischen Republik
Vor sieben Jahren wurde am 8. Mai in Moskau und in den Hauptstädten der Welt die Urkunde über die bedingungslose Kapitulation Hitlerdeutschlands veröffentlicht. Die ruhmreiche Sowjetarmee hatte unter der Führung Stalins in einem langen und schweren Kampf den Sieg über den verbrecherischen Faschismus errungen. Der heimtückische Überfall Hitlers auf die friedliebenden Völker der Sowjetunion endete mit der Zerschmetterung der räuberischen Okkupanten in ihrer Höhle Berlin. Das Sowjetvolk hat im Großen Vaterländischen Krieg die Landräuber aus seinem Territorium vertrieben und vielen Völkern Europas Freiheit und Unabhängigkeit gebracht. Dazu gehört auch die Deutsche Demokratische Republik.
In Ehrfurcht und Trauer neigen wir uns heute vor den in Kerkern und Konzentrationslagern gequälten, in Gaskammern und auf Richtstätten ermordeten Opfern des Faschismus, vor den Toten von Lidice und Oradour, vor den unerschrocken und tapfer für die Freiheit der Unterdrückten und Ausgebeuteten kämpfenden Soldaten der Sowjetarmee.
Wir danken ihnen für die Befreiung, aus faschistischer Knechtschaft. Wir erneuern unsere ernste Verpflichtung, die durch die Hitlerfaschisten auf das deutsche Volk gehäufte Schande wieder abzuwaschen, ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland aufzubauen und Seite an Seite mit allen friedliebenden Menschen und Völkern unter der Führung der großen Sowjetunion für die Sicherung und Erhaltung des Friedens zu kämpfen.
Damit führen wir zugleich das Potsdamer Abkommen durch, in dem die Ausrottung des deutschen Militarismus und Nazismus, die Vernichtung der Kartelle und Monopole vorgesehen ist, damit Deutschland niemals mehr seine Nachbarn oder den Frieden der ganzen Welt bedrohen kann.
Mit der Sowjetunion haben auch die Westmächte, Großbritannien, die USA und Frankreich, erklärt, daß sie nicht gewillt sind, das deutsche Volk zu vernichten oder in die Sklaverei zu stürzen. Schon 1947 mußte aber Molotow als Vertreter der Sowjetunion auf der Moskauer Tagung des Außenministerrates die Einhaltung des Potsdamer Abkommens von den Westmächten fordern. Die Westmächte haben sich an ihre eigenen Beschlüsse nicht gehalten. Sie haben das Potsdamer Abkommen wie einen Papierfetzen behandelt und eine Politik der Spaltung Deutschlands und der Vorbereitung eines neuen Weltkrieges gegen die Sowjetunion und die Länder der Volksdemokratie betrieben.
Nach der separaten Währungsreform für Westdeutschland beschlossen die Westmächte 1949 in Washington ein Besatzungsstatut, um Westdeutschland für unbegrenzte Frist in der Hand zu behalten. Ihre Herrschaft über das Ruhrgebiet verankerten sie im Ruhrstatut. Mit der Errichtung des Bonner Separatstaates brachten sie schließlich die Spaltung Deutschlands zum Abschluß. Deutsche Separatisten, Spekulanten und Abenteurer leisteten den Westmächten Helfersdienste, es sind die nationalen Verräter Adenauer, Lehr, Krupp, Hallstein, Schumacher Fette und viele andere. In fieberhafter Eile setzten sie das Werk der Spaltung Deutschlands und der Kriegsvorbereitungen fort.
Sie versuchen vergeblich, mit allen terroristischen Mitteln das Bekanntwerden der Friedensvorschläge der Sowjetunion in den Noten vom 10. März und 9. April 1952 zu verhindern. Das gelingt ihnen nicht, denn im Osten und Westen, im Norden und Süden Deutschlands ist eine große und tiefgreifende nationale Protestaktion entstanden.
Die Regierung Adenauer und ihre amerikanischen, englischen und französischen Herren wollen vom Abschluß eines Friedensvertrages nichts hören. Sie versuchen vielmehr, einen sogenannten "Generalvertrag" abzuschließen, der in Wahrheit ein Generalkriegsvertrag ist. Seit Monaten führt Adenauer Verhandlungen hinter streng verschlossenen Türen. Die wenigen bisher bekannt gewordenen Punkte des Paktes zeigen, daß Adenauer guten Grund hat, das Licht der Öffentlichkeit vor dem empörten Volke zu scheuen.
Der Generalkriegsvertrag sieht vor:
- Das Territorium Deutschlands wird unter die volle Verfügungsgewalt ausländischer Truppen gestellt. Die Westmächte behalten sich alle Rechte über die Unterbringung der Streitkräfte in Deutschland und die Wahrung der Sicherheit dieser Kräfte vor. Die westlichen Militärbehörden haben also das Recht, unter dem Vorwand der Wahrung der Sicherheit ihrer Truppen nach eigenem Gutdünken auf deutschem Gebiet so zu hausen, wie sie es wünschen. Die Westmächte sichern sich das Recht, Kontingente von Streitkräften jeder beliebigen Nation nach Deutschland zu verlegen.
- Deutschland wird auf dem Gebiete der Außenpolitik und der Innenpolitik vollständig seiner souveränen Rechte beraubt. Die Westmächte können den Ausnahmezustand in der gesamten Bundesrepublik Deutschland jederzeit verhängen und beliebige Maßnahmen einschließlich Einsatz bewaffneter Kräfte für Erhaltung oder Wiederherstellung der Ordnung treffen. Die Feststellung, wann die Ordnung bedroht ist, unterliegt ihrer eigenen Entscheidung.
- Der "Vertrag" schließt die Vereinigung Deutschlands auf friedlichem Wege und unter Teilnahme des deutschen Volkes selbst aus. Die Westmächte behalten sich diese Entscheidung selbst vor und bestimmen in diesem Schandvertrag, daß ein geeintes Deutschland an die Verpflichtung gebunden sein muß, die der Generalkriegsvertrag heute Westdeutschland auferlegt.
- Die deutschen Truppenkontingente werden der Befehlsgewalt amerikanischer Generale unterstellt und können an jedem beliebigen Ort der Welt, den die Amerikaner wünschen, für den amerikanischen Imperialismus zum Einsatz gebracht werden. Keinem anderen Truppenteil der westeuropäischen Armee wird eine solche Zumutung gestellt.
- Der Generalkriegsvertrag unterbindet jede friedliche und selbständige Entwicklung in Deutschland, er zwingt Westdeutschland auf unbegrenzte Zeit unter das brutale Kolonialjoch des amerikanischen Imperialismus.
Adenauer ist bereit, diese entwürdigenden Bedingungen zu unterzeichnen. Er betrügt das deutsche Volk und verheimlicht den Inhalt des Schandvertrages, weil er fürchten muß, von der Empörung des deutschen Volkes über diesen Landesverrat hinweggefegt zu werden. Die Eingliederung der Deutschen in die Europaintegration muß also, mit der völligen Aufgabe der deutschen Souveränität, dem Verzicht auf staatliche Selbständigkeit und der Preisgabe aller nationalen Lebensinteressen bezahlt werden.
Dagegen erhebt sich der Sturm der ganzen fortschrittlichen deutschen Öffentlichkeit. Wir stehen vor einem neuen Abschnitt, an einem geschichtlichen Wendepunkt im Kampf des deutschen Volkes für den Frieden und für ein einiges, demokratisches Deutschland. In diesem Kampf steht die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands an der Spitze. In dem "Ruf an die Nation" vom 16. April 1952 wendet sich das Zentralkomitee der SED mit einem Appell an die Arbeiter, Bauern und Intellektuellen, an die deutschen Bürger und Patrioten aller Parteirichtungen und Konfessionen zum Kampf gegen den Generalkriegsvertrag, für den Friedensvertrag, gegen die Fortdauer der Spaltung und für die Wiedervereinigung Deutschlands.
Jeder Deutsche wird vor die Entscheidung gestellt, entweder Abschluß eines Friedensvertrages der vier Großmächte mit Deutschland - das ist der Friede; oder Adenauers Generalkriegsvertrag - das ist die Aufrichtung der Militärdiktatur in Westdeutschland und bedeutet erhöhte Kriegsgefahr, Bruderkrieg und einen dritten Weltkrieg. Immer mehr sozialdemokratische, christliche und parteilose Arbeiter in Westdeutschland begreifen, daß sie sich gegen den Kriegskurs Adenauers mit den kommunistischen Arbeitern zur Aktionseinheit der Arbeiterklasse zusammenschließen müssen. In Nürnberg, Essen, Duisburg, Hamburg, aber auch in kleineren Städten und in Betrieben hat die Aktionseinheit der Arbeiter zu Erfolgen bei Wahlen, Streiks und anderen Aktionen geführt. Bürger und Arbeiter beginnen jetzt, die "staatstreue Opposition" der rechten sozialdemokratischen Führung zu durchschauen. Unter dem Eindruck des Stimmungsumschwungs der werktätigen Massen treten Ollenhauer und Schumacher jetzt mit Worten für Viermächteverhandlungen ein und verzichten vorübergehend auf ihre bisher geübte schamlose Antisowjethetze. Sie bleiben aber die Antwort schuldig auf die Frage, weshalb sie nicht endlich die Kräfte mobil machen, um die amerikanischen Imperialisten und ihre Trabanten zu einer Änderung ihrer Politik in Deutschland zu zwingen. Schumacher und Ollenhauer haben kein eigenes Aktionsprogramm. Sie mahnen die Mitglieder der SPD zu "Ruhe und Ordnung". Damit werden die Arbeiter von den notwendigen Protest- und Kampfaktionen abgehalten und zu lähmender Passivität geführt. Die Opposition Schumachers und der rechten Führung der Sozialdemokratischen Partei in Westdeutschland entlarvt sich damit als unaufrichtig und zweideutig. Sie ist schändlicher Verrat an der Arbeiterklasse in der Stunde der Gefahr.
Immer deutlicher erhebt auch das Bürgertum, erheben die Patrioten in Westdeutschland ihre Stimme gegen die Abenteurerpolitik Adenauers. Es zeigt sich deutlich, daß Adenauer und seine Regierung nicht mehr die Mehrheit der westdeutschen Bevölkerung hinter sich hat.
Unter dem Druck ihrer Mitglieder scheuen sich jetzt auch Adenauers Gefolgsleute, die zur Bonner Regierungskoalition gehören, mit dem separatistischen Abenteurer durch Dick und Dünn in den Krieg zu marschieren. Das wird allerdings Adenauer nicht hindern, den Verrat am deutschen Volk fortzusetzen. Die fortschrittlichen und demokratischen Kräfte mobilisieren darum den Widerstandswillen in ganz Deutschland, um den Adenauerschen Staatsstreich erfolgreich abzuwehren. Wenn Adenauer die Absicht hat, ohne Volk, ohne Parlament und ohne Parteien den Generalkriegsvertrag allein zu unterschreiben, dann soll er wissen, daß sich die Deutsche Demokratische Republik mit dem Staatsstreich und den daraus entstehenden Folgerungen sich unter gar keinen Umständen kampflos abfinden wird.
Durch Unterzeichnung des Generalvertrages sollen in Deutschland ähnliche Verhältnisse wie in Korea geschaffen werden. Die große Gefahr des Bruderkrieges Deutsche gegen Deutsche zieht herauf. Die Arbeiter und Bauern und die Angehörigen der Intelligenz in der Deutschen Demokratischen Republik werden die in den vergangenen Jahren errungenen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Fortschritte nicht wieder preisgeben und sich nicht durch den amerikanischen Imperialismus verschlucken lassen. Die fortschrittlichen und friedliebenden Kräfte Deutschlands sind im Mai 1945 nicht darum in opferreichen Kämpfen durch die ruhmreichen Sowjetarmeen befreit worden, um im Mai 1952 aufs Neue in die Knechtschaft des amerikanischen und des wiedererstandenen deutschen Imperialismus und seiner faschistischen Henker gezwungen zu werden.
Die Arbeiterklasse und alle fortschrittlichen Kräfte in der Deutschen Demokratischen Republik sind sich der in dieser Situation liegenden Gefahren voll bewußt. Sie werden alle Abwehrmaßnahmen dagegen zu treffen wissen. Die Deutsche Demokratische Republik wird die bewaffnete Verteidigung der Heimat organisieren. Das ist kein Wiederaufleben des aggressiven Militarismus, wie das in Westdeutschland durch die Söldnertruppen der Bonner Marionettenregierung im Dienste der aggressiven Politik des amerikanischen Imperialismus geschieht. Die bewaffneten Kräfte der Deutschen Demokratischen Republik sollen dem Schutze der Heimat, der Erhaltung des Friedens, dem Schutze der sozialistischen Grundlagen des großen Aufbauwerkes und der demokratischen Staatsordnung dienen.
Die Arbeiter, die werktätigen Bauern und alle fortschrittlichen Kräfte der Deutschen Demokratischen Republik danken ihr fortschrittliches gesellschaftliches Aufbauwerk der Befreiung vom Faschismus durch die unüberwindliche, ruhmreiche Sowjetarmee. Die Werktätigen in der Deutschen Demokratischen Republik werden diese Freiheiten zu schützen wissen. Sie werden alle geeigneten Maßnahmen treffen, damit die durch die Sowjetarmee geschaffene Freiheit nicht in Unfreiheit und Knechtschaft unter amerikanischem Imperialismus verwandelt wird.
[Quelle: Tägliche Rundschau Nr. 107, 8. Mai 1952, S. 1f.]
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