"So etwas wie Feme"
[Der Spiegel, 19.11.1952]


"Drei Germans" aus Westberlin erhielten im Frühjahr dieses Jahres von einem Agenten den Auftrag, als Postangestellte verkleidet, mit Nachtschlüsseln Telephonverteilerkästen im sowjetischen Sektor Berlins zu öffnen und Sprengladungen hineinzupacken.

Auf Geheiß des gleichen Auftraggebers zeichneten zwei andere Antibolschewisten namens Georg Kernchen und Günter Brauer Skizzen östlicher Eisenbahnbrücken und gaben genau an, wo Explosivstoffe anzubringen seien, wenn man eine optimale Sprengwirkung erzielen wolle.

Dann ging das Widerstands-Duo dazu über, Säureflaschen in die Mechanismen sowjetzonaler Maschinen zu entleeren, so daß deren Räder sich nicht mehr für den Fünfjahrplan drehen konnten. Bevor man ihnen schließlich Preßkohlen mit "eingebauten" Sprengladungen andrehen konnte, mit denen sie östliche Kohlenvorräte in Brand setzen sollten, wurden die beiden vom sowjetzonalen "Staatssicherheitsdienst" ertappt, ebenso wie die drei Ostberliner Telephon-Saboteure mit dem verpflichtenden Namen "Drei Germans".

Den sowjetdeutschen "Volksrichtern", die diese Widerstandskämpfer verhörten, fiel es nicht schwer, zu behaupten, daß der Auftraggeber der Angeklagten - wie fast in jedem ähnlichen Fall - die Westberliner "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" sei.

Die "Kampfgruppe" rückte in den Vordergrund des ost-westlichen Notenkrieges, als Sowjet-Kontrollkommissar Tschuikow im Oktober von den westlichen Hochkommissaren forderte, die "Spionage- und Terrorzentralen" in Westberlin aufzulösen. Solche "Spionage- und Terrorzentralen" in Tschuikows Sinn sind:

- Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU). - Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen der Sowjetzone. - Vereinigung politischer Ostflüchtlinge. - Ostbüro der CDU. - Ost-Redaktion der Morgenzeitung "Der Telegraf".

Ohne Zweifel gibt sich jede westliche Organisation einer verdienstvollen Beschäftigung hin, die - wie etwa der "Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen" - alles Unrecht in der Sowjetzone verfolgt und anprangert, potentielle Opfer warnt und ihnen hilft und den Kommunisten ein unerbittliches Gericht für später androht.

Organisationen dieser Art geben den Sowjetzonenbewohnern damit das stärkende Gefühl, nicht verlassen zu sein, und halten die SED-Tyrannen in Angst und Unruhe - weswegen schon eine Menge "Volksgerichts"-Urteile milder ausgefallen sind.

Das war der hartgesottenen "Kampfgruppe" zu zahm. Sie wollte die rote Diktatur ins Wanken bringen. Sie verlegte sich auf anderes. Sie beauftragte teilweise unerfahrene Jungen, die aus Empörung gegen die Kommunisten alles mitzumachen bereit waren, verantwortungslos mit vertrackten Aufträgen; die Jungen fielen dem sowjetdeutschen "Staatssicherheitsdienst" reihenweise in die Hände und müssen wegen sinnloser, fehlgeschlagener Unternehmen die besten Jahre ihres Lebens im Zuchthaus verbringen.

Die Westberliner Zentrale der "Kampfgruppe" vor allem aber sieht einem Skandal immer ähnlicher als einer Bastion der freien Welt. Ihr Chef, Ernst Tillich, wurde vorletzte Woche aus seiner Partei, der SPD, ausgestoßen, nachdem er sein Bestes getan hatte, um mit seiner Tätigkeit mehr dem Ansehen des Westens und der Arbeit verantwortungsbewußter Westberliner Stellen zu schaden als den kommunistischen Unterdrückern der Sowjetzone.

Gegen Tillich haben sich die Berliner Bundesvertretung, der Westberliner Innensenator Müller und das Bonner Kaiser-Ministerium ausgesprochen.

Nur die drei westlichen Hochkommissare nahmen die "Kampfgruppe" noch in Schutz, als sie mit erzwungener Ahnungslosigkeit an Tschuikow schrieben, daß auch die Kampfgruppe "freiwillig von Deutschen geschaffen" sei, "denen die Interessen des deutschen Volkes am Herzen liegen".

So ähnlich hörte es sich an, als der Gründer der "Kampfgruppe", Rainer Hildebrandt, am 8. Dezember 1948 von seiner Grunewald-Villa aus die Ziele der Kampfgruppe definierte: "Aufklärung aller Verbrechen gegen die Menschlichkeit, gleichviel, wo und durch wen sie begangen werden, Aufbau eines Suchdienstes zur Feststellung des Schicksals der in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands verhafteten oder verschleppten Personen; Unterstützung aller sich mit politischen Mitteln gegen das in Mitteldeutschland herrschende Terrorsystem auflehnenden Kreise."

Auf verschiedene Anfragen, wie die "Kampfgruppe" diese aller Unterstützung werten Tatsachen finanziere, antwortete Hildebrandt geschickt, aber vage: "Wir finanzieren uns von den Groschen der Verzweiflung."

Die leichtsinnige "Unterstützung" durch die "Kampfgruppe" brachte Verhängnis über die Kreise in Mitteldeutschland, die sich gegen den Terror auflehnten. Folgende Angehörige dieser Kreise sind u. a. in diesen Monaten wegen "Kampfgruppen"-Verdachts im Osten vor Gericht gestellt und verurteilt worden: Werner Tocha, 20, zu 9 Jahren Gefängnis. Gerhard Blume, 20, zu 8 Jahren Gefängnis. Gerhard Schultz, 20, zu 5 Jahren, Johann Burianek, Todesstrafe, Wolfgang Kaiser, Todesstrafe.

Insgesamt liegt die Zahl der in diesem Jahr unter "Kampfgruppen"-Verdacht Verhafteten um 200 und steigt ständig weiter. Der Volkspolizei-Chefinspektor Erhard König (SED) behauptet, daß bisher 200 Volkspolizisten "im Kampf gegen Agenten, Spione und Saboteure" ihr Leben verloren hätten. "Auf jeden toten Volkspolizeikameraden werden zwei Feinde der neuen Demokratie kommen!", drohte König.

Maßgebliche Stellen in Westberlin beschleicht ein ungutes Gefühl, wenn sie sich die Verurteilungslisten ansehen. Immer mehr Persönlichkeiten - Probst Grüber ist nur einer von vielen - protestierten gegen die fahrlässigen Widerstandsaufträge der "Kampfgruppe" an Jugendliche.

Die "Kampfgruppe" dehnte ihre Aktivität auch auf Westberlin aus. Der Westberliner Journalist Heinz Krüger wurde am 9. November 1950 in seiner Hermsdorfer Wohnung (französischer Sektor) von "gangsterhaften" Gestalten überfallen, die die Polizei aber kurz darauf festnehmen konnte.

Am nächsten Tag berichteten alle Westberliner Zeitungen von einem mißglückten Menschenraubversuch an dem Journalisten Krüger und forderten energisches Vorgehen gegen die Täter. Was die Öffentlichkeit nie erfuhr, war, daß diese Täter wenige Stunden nach ihrer Verhaftung wieder auf freiem Fuß waren.

Auf der Polizeiwache stellte sich nämlich heraus, daß die beiden angeblichen Menschenräuber Karl Heinz Stabenow, 22, und Dieter Norden, 19, Agenten der "Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit" waren, die Krüger "einen Denkzettel" für sein neutralistisches Verhalten und seine Verbindungen zum "Nauheimer Kreis" des Professor Noack verpassen wollten.

Ein gewisser Seeberg, den Karl Heinz Stabenow und Dieter Norden von der Wache aus anriefen, hatte die Freilassung der Verhafteten verlangt. Seeberg war das Pseudonym des "Kampfgruppen"-Vorstandsmitglieds Tietze, das seine Leute bei solchen Pannen zu decken pflegte.

Inzwischen aber hat sich das Verhältnis der Westberliner Polizei zur "Kampfgruppe" sehr verschlechtert. Bereits am 27. Dezember 1950 sagte Polizeipräsident Dr. Stumm in Anwesenheit seines Stellvertreters Dr. Urban in einer vertraulichen Unterredung, "daß sich in bestimmten westlichen Kreisen, die sich vielfach aus alten belasteten Nationalsozialisten rekrutierten, so etwas wie eine neue Feme-Organisation aufbaut", gegen die man ernste Maßnahmen ergreifen müsse.

Es dauerte ein Jahr, bis Polizeipräsident Stumm seine Maßnahmen wenigstens teilweise wahr machte. Er untersagte im November 1951 seinen Polizeibeamten streng, der "Kampfgruppe" noch irgendwelche Auskünfte zu geben.

In der "Kampfgruppe" setzten Reformbestrebungen ein, als ein Mann nach dem anderen vom "Staatssicherheitsdienst" (der ausgekochte Gestapo-Leute beschäftigt) abgeschossen wurde. Ein Grund dafür war, daß, ähnlich wie im Fall Dr. Linse im "Untersuchungsausschuß freiheitlicher Juristen", auch in der "Kampfgruppe" eine östliche "Staatssicherheitsdienst"-Agentin als Sekretärin saß. Sie kehrte ungeschoren nach Ostberlin zurück, und der bohemienhafte Dilettantismus der "Kampfgruppe" wurde zum Gespött des SSD.

Das stachelte den Ehrgeiz des SPD-Funktionärs Ernst Tillich auf, der bereits im Frühjahr 1950 zur "Kampfgruppe" gestoßen war und sich beharrlich an deren Spitze spielte. Er räumte erst mir den Vertrauensleuten auf, die Rainer Hildebrandt geheuert hatte. Dann engagierte er nach und nach sieben wohlinformierte Polizisten aus Stumms Stab für die wichtigsten Posten.

Walter Dethloff bekam den Decknamen Martini und wurde zum Geschäftsführer ernannt. In dieser Eigenschaft machte er dann den ehemaligen Kripo-Assistenten Werner Geerdts zum Leiter der Vernehmungsabteilung.

Aus dem jetzt 30jährigen Gerd Baitz wurde der Leiter der Abteilung Widerstand (offiziell firmiert die Abteilung Widerstand als "Organisation für kulturelle Hilfe"), Leeder. Mit knapp 1000 Mark Monatsgehalt machte er sich im Haus Kurfürstendamm 106 an die Arbeit. Mit den Worten: "Jetzt weht hier ein frischer Wind" brach er erst einmal die Schränke und die Schreibtische der alten Mitarbeiter auf.

Als Hildebrandts Vertreter Dr. von zur Mühlen gegen die Demolierung seiner Dienstmöbel protestierte, wurde er an die Luft gesetzt. Für ihn holte sich Baitz die ehemaligen Kriminalassistenten Parey und Herzog, die während ihrer Polizeitätigkeit im Referat KJ F5 vorwiegend Menschenraubdelikte behandelt hatten.

Seit Baitz jedoch die Widerstandsabteilung leitet, vermehrten sich die Erfolge des SSD gegen aktive Widerstandskämpfer, meist junge Studenten, erst recht. Im Bereich Wittenberg setzte der SSD 16 Mann fest, im Kreis Grimma 22. Stets führten die Aussagen auf Baitz-Leeder, so auch in dem berühmten Fall des Oberschülers Flade, der zum Tode verurteilt und dann zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt wurde, weil er einen Volkspolizisten durch Stiche verletzt hatte.

Ein Beispiel für die Primaner-Ideen der "Kampfgruppe" sind die "Tage des Schweigens", die sie zweimal durch Flugblätter in der Sowjetzone ausrief. In diesen Tagen sollten Ostzonenbewohner demonstrativ weder ein Kino noch ein Theater noch irgendeine andere Veranstaltung in der Sowjetzone besuchen.

Der Erfolg war, daß alle ohnehin politisch verdächtigen Personen an beiden Tagen Theater und Kinos besuchen mußten, um sich nicht zu verraten. Selten hat es so gut besuchte Veranstaltungen in der Sowjetzone gegeben wie an diesen beiden Tagen. Zum 8. Mai 1950, dem sowjetzonalen "Tag der Befreiung", war die Bevölkerung von der "Kampfgruppe" aufgefordert worden, sich nur auf dem rechten Bürgersteig der Straßen fortzubewegen.

Die Autorität des inzwischen zum Leiter der "Kampfgruppe" avancierten Ernst Tillich begann nun auch zu schwinden. Vom Gründer Rainer Hildebrandt hört man nur noch ab und zu in Erik Reger-Dannenbergs "Tagesspiegel", wo er hin und wieder kostenlose Ratschläge für den Widerstand erteilt. Er hatte aber in seiner eigenen Gründung nichts mehr zu sagen. Nachdem man Hildebrandt Pfingsten 1951 in die Leitung des anti-kommunistischen "Freiheitsbundes für deutsch-russische Freundschaft" geholt hatte, war Tillich der unbestrittene Boss der "Kampfgruppe".

Die Exil-Russen des "Freiheitsbundes" glaubten bald dahintergekommen zu sein, daß Hildebrandt vom amerikanischen Gegenspionagedienst (CIC) Zuwendungen erhalte, um den Freiheitsbund "politisch auszuwerten". Da die Exil-Russen sich aber schrecklich davor fürchten, als US-Agenten zu gelten, mußte Hildebrandt auch seinen Freiheitsbund-Job aufgeben.

Auch Ernst Tillich hatte jetzt an seinem hart erworbenen Posten keine Freude mehr, denn das Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen zog seine "Verzweiflungsgroschen"-Subvention zurück, die persönlichen Angriffe und die Vorwürfe gegen die "Kampfgruppe" hagelten immer dichter, bis die SPD Tillich ausschloß. Gleichzeitig machte Rainer Hildebrandt seinen Austritt aus der Kampfgruppe offiziell.

Gegenwärtig versucht Tillich, die "Kampfgruppe" abermals zu reorganisieren, um seinen verlustreichen Kampf gegen die Unmenschlichkeit aufrechtzuerhalten.

[Quelle: Der Spiegel, 19.11.1952, S. 12ff.]