Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei
Leipzig
- C h e f -

Leipzig C 1, den 29. Juni 1953
Dittrichring 22
Fernruf 67641 - Hausapparat-Nr.

An den
Chef der Deutschen Volkspolizei
Genossen Generalinsp. M a r o n

H V D V P Berlin

Betr.: Auswertung der Ereignisse seit dem 16. Juni 1953
Bezug: Fernschreiben der HVDVP Nr. 581 v. 21.6.1953


Bereits vor dem 17.6.1953 wurden in einzelnen Betrieben im Bereich des Bezirkes Leipzig negative Diskussionen und kurze Streiks durchgeführt.

So wurde am 13.6.1953 in der Leipziger Baumwollspinnerei zwei Stunden die Arbeit niedergelegt. Der Grund dafür war die angesetzte Normerhöhung.

Am 15.6.1953 trat die Belegschaft des Eisengußwerkes Nestmann in Gössnitz Kr. Schmölln in einen zweistündigen Streik, wo die Freilassung der wegen Steuerschulden inhaftierten Besitzerin des Betriebes gefordert wurde.

Am gleichen Tage legten 200 Arbeiter im VEB SANAR, Rosswein Kr. Döbeln, und 250 Arbeiter im VEB Hammer-Schuhfabrik in Rosswein für mehrere Stunden die Arbeit nieder. Auch hier war der Grund Normerhöhung.

In Leipzig traten am 16.6.1953 die Arbeiter im VEB MEGU in einen zweistündigen Streik. Der Grund dazu war die Normerhöhung in dem Betrieb.

In all diesen Betrieben wurden aus den Reihen der Belegschaft Delegationen gewählt, die mit den BGL und der BPO über die Normenerhöhungen verhandelten. Es wurden Versammlungen angesetzt, wo Funktionäre der Kreisleitungen der Partei sprachen und daraufhin wurde die Arbeit auch wieder aufgenommen.

Vor den Haftanstalten sammelten sich an den Tagen vor dem 17. Juni wiederholt Gruppen von Personen an, die angeblich auf Entlassung ihrer Angehörigen warteten.

Es kam zu keinen Vorkommnissen.

Verständigung der Volkspolizei-Führung und Amtsleiter, sowie Alarmierung der VP-Angehörigen und Bildung von Einsatzleitungen

Am 16.6.1953 gegen 21.45 Uhr wurde vom Genossen Generalinsp. Seifert an den Operativstab der BDVP Leipzig die telef. Anweisung gegeben, unverzüglich den Genossen Stellv. Allgemein in das Amt zu holen und die VP-Angehörigen der Schule Dommitzsch einsatzbereit zu halten.

Nach Eintreffen des Gen. Stellv. Allgemein VP-Insp. Schweizer wurde von ihm die Einsatzbereitschaft der VP-Schule Dommitzsch veranlaßt und überwacht.

Von diesen Maßnahmen wurde der Chef der BDVP Leipzig, sowie der Stellv. Polit in Kenntnis gesetzt.

Am 17.6.1953 gegen 02.00 Uhr begab sich der Chef sowie der Stellv. Polit der BDVP Leipzig in die Dienststelle.

Von der HVDVP - Gen. Chefinsp. Grünstein - wurde gegen 04.30 Uhr die Anweisung gegeben, sofort alle Amtsleiter und Polit-Stellv. in die Volkspolizei-Kreisämter zu beordern.

In der Zeit von 04.30 Uhr bis 05.30 Uhr wurde vom Gen. Insp. Schweizer diese Anweisung an alle Amtsleiter des Bezirkes telef. gegeben, mit dem Vermerk, daß bei Streiks und Delegationen aus den Betrieben vorbeugende Maßnahmen zu treffen sind und weitere Anweisungen folgen.

Um 05.00 Uhr wurde der 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED, Gen. Fröhlich, vom Chef der BDVP, Gen. VP.-Insp. Winkelmann, benachrichtigt, daß irgendwelche Dinge in Berlin oder der Republik vor sich gehen würden, da VP-Kräfte angefordert seien und auch Anweisung da sei, alle leitenden Offiziere in die Ämter zu beordern. (Bis dahin war von Berlin noch keinerlei Hinweis ergangen, worum es sich handelte.) Ebenfalls wurde der Leiter der Verwaltung M.f.St. um diese Zeit verständigt.

Gegen 07.00 Uhr wurden vom Chef der BDVP Leipzig alle Abteilungsleiter zu einer Besprechung zusammengerufen und es wurde eine Einsatzleitung aus nachfolgend aufgeführten Genossen bebildet:

VP.-Insp. Winkelmann, Chef der BDVP
VP.-Insp. Sch., Stellv. Allgemein
VP-ORat St., Stellv. Polit
VP-Insp. M., Leiter der Abt. K
VP-Kdr. H., Leiter der Abt. S
VP-Kdr. K., Leiter der Abt. J
VP-Rat R., Leiter der Abt. SK

Als ständiger Sitz der Einsatzleitung wurden die Räume 128/130 festgelegt, wohin alle eintreffenden Meldungen geleitet wurden.

07.30 Uhr wurde vom Chef der BDVP mit den Militärkommandanten Rücksprache genommen und Vereinbarungen über Art des Vorgehens und der Benachrichtigung getroffen. Ein Verbindungsoffizier der Volkspolizei wurde eingesetzt.

07.45 Uhr Besprechung mit dem 2. Sekretär der Bezirksleitung der SED (1. Sekretär war in Berlin), dem Leiter der Staatssicherheit und dem Vorsitzenden des Rates des Bezirkes und VP-Insp. Winkelmann. Bildung eines zentralen Einsatzstabes bestehend aus Partei-Verwaltung - Staatssicherheit und Volkspolizei beim Sekretariat der Bezirksleitung der Partei.

Bis zur Alarmierung der Volkspolizei-Kreisämter wurden bereits schon von Schkeuditz Kreis Leipzig gegen 8.00 Uhr Streikbewegungen festgestellt.

Den Anfang machte die Baustelle der Bau-Union im VEB MAB Schkeuditz und Flughafen Schkeuditz, und von dort aus gingen Provokateure in andere Betriebe von Schkeuditz, welche die Belegschaften aufforderten, ebenfalls zu streiken und zu demonstrieren.

Die streikenden Arbeiter formierten sich zu einem Demonstrationszug von ca. 1.200 Personen, der sich durch den Ort Schkeuditz bewegte und am Parteiheim der SED ein Transparent über Normenerhöhung herunterriß.

In der Stadt Leipzig traten gegen 10.00 Uhr die Bauarbeiter der Windmühlenstraße zu einem Demonstrationszug nach dem Stadtinneren an. Die bis dahin mitgeführten Transparente enthielten die Forderung „Nieder mit der Normenschinderei" sowie Solidaritätserklärungen mit den Berliner Bauarbeitern.

Aufgrund der eingehenden Meldungen, die besagten, daß die Arbeiter in verschiedenen Betrieben innerhalb des Bezirkes Leipzig ihre Arbeit nicht aufnahmen und zum Teil Versammlungen durchführten, wurden die Amtsleiter der VPKÄ und VPÄ (B) fernschriftlich gegen 10.45 Uhr angewiesen, sofort erhöhte Alarmbereitschaft aller VP-Angehörigen auszulösen und einen Einsatzstab, bestehend aus Amtsleiter, Stellvertreter Polit und S-Leiter, zu bilden, des weiteren sofortige Bildung von Alarmzügen und Gruppen zu veranlassen und sofortige Bewaffnung durchzuführen. Freiwillige Helfer der Volkspolizei sind zu mobilisieren und unauffällig für evtl. kommende Einsätze anzusprechen.

Es wurde angewiesen, daß sämtliche KFZ einschließlich Kräder im VPKA zu verbleiben haben und nur zu evtl. Einsätzen verwendet werden dürfen.

Die öffentlichen Gebäude und lebenswichtige Betriebe sind zu sichern, und mit den örtlichen Parteiorganisationen ist zwecks Einsetzung von Agitatoren und Unterstützung von Genossen der Partei Rücksprache zu nehmen.

Für den Strafvollzug wurde Zweiteilungsdienst angeordnet. Die ABV sind in ihren Abschnitten zu belassen und haben ständig Verbindung mit ihren VPKA zu halten.

Ein 11.40 Uhr an die Amtsleiter herausgegebenes Fernschreiben hatte zum Inhalt, daß alle VP-Angehörigen in den VPKÄ zusammenzuziehen sind und die Arbeit in der Abteilung VK gemäß Befehl 15/53 einzustellen ist und sich ebenfalls nach den Ämtern zu begeben haben. [sic!]

Bildung von Arbeiterwehren

Mit dem Genossen Heinrich Rau, dem Vertreter des ZK, dem 2. Sekretär Gen. Fröhlich und Gen. VP-Insp. Winkelmann wurde vereinbart und beschlossen, daß aus zuverlässigen Mitgliedern unserer Partei und guten parteilosen Arbeitern sofort Arbeiterwehren zu bilden sind.

Diese Arbeiterwehren werden in den wichtigsten Betrieben und Objekten stationiert, werden mit Kleinkaliber-Gewehren bewaffnet, die aus diesem Grunde von der GST eingezogen werden und in den VPKÄ gelagert werden.

Die Arbeiterwehren werden durch einen VP-Offizier geleitet. Es hat sich herausgestellt, daß zum Teil die Arbeiterwehren aus 50 % ehemaligen Angehörigen der Volkspolizei bestanden, die wegen Befehl 2 usw. in der Vergangenheit entlassen worden sind.

Die Genossen Amtsleiter wurden vom Chef der BDVP Leipzig nochmals persönlich verantwortlich gemacht, die Sicherung der VPKÄ und lebenswichtigen Objekten vorzunehmen.

Die angeordneten Maßnahmen wurden von den Amtsleitern unverzüglich durchgeführt.

Verbindung zu anderen Dienststellen

Aufgrund der besseren Zusammenarbeit und der besseren Kenntnis der Lage im Bezirksbereich sowie Einleitung von richtigen Maßnahmen wurde zu folgenden Dienststellen ständige Verbindung aufgenommen:

Militärkommandantur Leipzig
Verwaltung f. Staatssicherheit
SED Bezirksleitung
Bezirksrat Leipzig
Bezirksleitung der GST
KVP und VPKÄ

Je ein Verbindungsoffizier wurde in die SED Bezirksleitung und Militärkommandantur abgeordnet. Das gleiche trifft für die VPKÄ zu, die in ständiger Verbindung mit den Kreisleitungen der SED und Dienststellen der Staatssicherheit sowie dem Kreisrat, Kreisleitungen der GST und der örtlichen Kommandantur traten.

In der BDVP Leipzig wurde die Verbindung zur KVP bereits in den Vormittagsstunden des 17.6. aufgenommen, konnte aber zu keinem Erfolg führen, da die Dienststellen der KVP nur mit Genehmigung ihrer vorgesetzten Dienststelle in Berlin Kräfte zum Einsatz bringen konnten. Gegen 14.00 Uhr erschien ein Verbindungsoffizier der KVP in Zivil und ohne Vollmachten in der Einsatzleitung des VPKA Leipzig.

Zu bemerken ist, daß die Kräfte der KVP im VPKA Leipzig um 16.15 Uhr ohne Munition eintrafen.

Schwerpunkte im Bezirk

Als besonderer Schwerpunkt innerhalb des Bezirkes Leipzig war die Stadt Leipzig und hier wiederum die innere Stadt besonders betroffen. Durch die immer mehr zunehmenden Ausschreitungen bestand die Gefahr, daß die Demonstranten in öffentliche Gebäude bzw. dazugehörige Höfe, die vorwiegend im Stadtkern liegen, eindringen.

Als weiterer Schwerpunkt stellte sich der Kreis Delitzsch heraus, wo in der Stadt die Demonstranten versuchten, die Kreisleitung der SED und das VPKA Delitzsch zu stürmen, sowie in einigen Landgemeinden, wo Demonstranten Transparente und Bilder beschädigten.

Im Ort Düben, Kreis Eilenburg, versuchten die Demonstranten in Verbindung mit den aus Bitterfeld eingetroffenen Arbeitern eine Kundgebung auf dem Marktplatz durchzuführen und dabei das Gebäude des VP-Gruppenposten zu stürmen.

In Schmölln sammelten sich die Demonstranten auf dem Marktplatz, die pfeifend und gröhlend eine drohende Haltung einnahmen und auch provokatorische Losungen in Sprechchören zum Ausdruck brachten.

Chronologischer Ablauf der Demonstrationen und Provokationen in den einzelnen Kreisen.

VPKA Leipzig

Am 17.6.1953, gegen 8.00 Uhr formierte sich in Schkeuditz, Kreis Leipzig, ein Demonstrationszug von ca. 1.200 Personen, die sich durch den Ort Schkeuditz bewegten. Hierbei wurde von den Demonstranten am Parteiheim ein Transparent über Normenerhöhung abgerissen. Nachdem dies geschehen war, stürmten die Demonstranten die Dachpappenfabrik in diesem Ort. Der Betriebsschutz wurde dabei eingeschlossen. Mit eigenen Kräften der Belegschaft in Verbindung mit dem Betriebsschutz gelang es, die Eindringlinge aus dem Werk hinauszuwerfen.

Außerhalb von Schkeuditz löste sich dieser Demonstrationszug wieder auf.

Nachdem sich am 17.6.1953, gegen 10.00 Uhr die Bauarbeiter der Windmühlenstraße zu einem Demonstrationszug formiert hatten und nach dem Karl-Marx-Platz marschiert waren, verteilte sich dieser auf den gesamten Stadtkern. Ein Demonstrationszug von ca. 300 Personen drang hierauf in das Haus des staatlichen Rundfunks ein. Dort wurden die Transparente und Bilder heruntergerissen. Ein eingesetzter Zug VP-Angehöriger warf die Eindringlinge in kurzer Zeit aus dem Gebäude.

An den Sendeanlagen traten keine Schäden auf.

Ein anderer Teil des Demonstrationszuges versuchte, in das in der Nähe gelegene Dimitroff-Kraftwerk einzudringen. Hier wurden sie von einem Zug VP-Angehöriger und dem dort stationierten Betriebsschutz aus dem Vorhof des Werkes vertrieben.

Ein weiterer Demonstrationszug zog in den Mittagsstunden vor das HO Kaufhaus I in der Peterstraße und verlangte dort, daß das Kaufhaus sofort geschlossen werden sollte. Dieser Forderung wurde nicht stattgegeben und mit Hilfe des Betriebsschutzes (B) wurde den Eindringlingen der Zugang zum HO Kaufhaus verwehrt.

Ein weiterer Schwerpunkt entstand bei der FDJ Bezirksleitung in Leipzig C 1, Ritterstr. Hier drangen Demonstranten in das Haus der Bezirksleitung ein, warfen die Akten zum Fenster hinaus und verprügelten dort die anwesenden Funktionäre.

Die eingesetzten Kräfte der BDVP Leipzig und Wacheinheit erwiesen sich als zu schwach, und es kam zu heftigen Schlägereien, wobei zwei VP-Angehörigen die Waffen entrissen wurden.

Von dort aus zog ein Teil der Demonstranten nach dem Platz des Friedens und steckten hier den Pavillon der Nationalen Front in Brand.

Durch die VP-Angehörigen und Angehörige der Abteilung F konnten die Demonstranten zerstreut werden, bis es aber gelang an den Pavillon heranzukommen, war dieser ausgebrannt.

Zur gleichen Zeit bewegten sich zwei Demonstrationszüge nach dem Untersuchungsgefängnis in der Beethovenstraße. Dort forderten sie in Sprechchören die Freilassung aller Gefangenen.

Zur Sicherung war bereits ein Zug VP-Angehöriger des VPKA Leipzig eingesetzt.

Da aber zur gleichen Zeit der Gegner durch die Tore in der Harkortstraße, Gebäude des Paß- und Meldewesens und im Amtsgericht eindrangen, waren die Kräfte nicht zureichend, und es gelang dem Gegner, bis in den Hof der Untersuchungshaftanstalt vorzudringen.

Aus den mitgeführten Losungen wurde bekannt, daß die Demonstranten die Freilassung der Gefangenen forderten. Aus diesem Grunde wurde von vornherein die Sicherung in der Untersuchungshaftanstalt verstärkt.

Gleichzeitig mit dem Angriff auf die UHA und VP-Dienststellen versuchten die Provokateure, in andere öffentliche Gebäude einzudringen. Durch hinzugezogene Verstärkung gelang es, alle Angriffe in kurzer Zeit abzuwehren und die eingedrungenen Demonstranten wieder nach der Straße zu zurückzuwerfen.

Nachdem die Provokateure einen großen Teil der Fensterscheiben der Gebäude des VPKA, Kreisgericht, Universität, Paß- und Meldewesen und UHA eingeworfen hatten, wurden gegen 12.30 Uhr die Tore zum Hof des Kreisgerichtes mittels Rammen und Brechstangen gewaltsam geöffnet.

Die Provokateure drangen in den Hof ein und wurden durch Warnschüsse wieder zurückgedrängt. Kurze Zeit darauf gelang es dem Gegner, in den Hof des Gebäudes der Abt. Paß- und Meldewesen einzudringen.

Weiterhin gingen die Provokateure dazu über, Flaschen mit Flüssigkeit (Spiritus und Benzin) zu werfen. Es gelang ihnen auch nach Niederschlagen verschiedener Genossen und Entwendung von Waffen, in den Hof des VPKA einzudringen.

Durch herbeigezogene Verstärkung von der BDVP und Wacheinheit, sowie durch Einsatz eines Tanklöschfahrzeuges wurden die Eindringlinge zurückgeschlagen. Hier griffen Angehörige der Sowjet-Armee ein, welche von ihren Waffen Gebrauch machten. Zur gleichen Zeit kamen Angehörige der KVP mit zum Einsatz.

Bei diesen Zwischenfällen wurde ein Arbeiter auf dem Dimitroff-Platz durch Schußverletzung getötet. Der Tote wurde durch Provokateure auf eine Bahre gelegt und vom Dimitroffplatz aus durch die Innenstadt bis zum Hauptbahnhof-Vorplatz getragen. Auf dem Wege bis dorthin wurden unter provozierenden Reden gegen die VP Blumen auf den Toten geworfen.

Auf Veranlassung der am Hauptbahnhof eingesetzten Volkspolizisten wurde der Tote auf die Dienststelle der Trapo gebracht. Anschließend wurde er nach dem Institut der gerichtlichen Medizin überführt.

Weiterhin waren in der Zeit von 13.45 Uhr bis 17.00 Uhr Angriffe auf das Thälmann-Haus (Bezirksvorstand des FDGB), wo Fensterscheiben eingeschlagen und die Transparente entfernt wurden. Zur Sicherung des Gebäudes war eine Gruppe VP-Angehöriger dort stationiert. Diese hatten dem Druck, trotz Verletzungen, so lange standgehalten, bis durch starke Einsatzkräfte der BDVP, WE, Tanklöschfahrzeug und Genossen der KVP der vor dem Gebäude liegende Platz sowie die angrenzenden Straßen gesäubert und die zu Tausenden zählenden Demonstranten und Provokateure verstreut wurden.

Ebenfalls versammelten sich große Menschenmassen auf der Karl-Liebknecht-Straße, wo sich die Gebäude der SED Bezirksleitung und des Bezirksrates befinden.

Durch die ausreichende Sicherung der VP und später KVP waren keine derartigen Zwischenfälle und Angriffe zu verzeichnen gewesen.

Neben all diesen aufgeführten Zwischenfällen kam es zu großen Menschenansammlungen auf dem Karl-Marx-Platz, Platz des Friedens und vorwiegend auf dem Hauptbahnhof-Vorplatz.

Gegen 14.25 Uhr wurden unter anderem laut einer Meldung des VPKA die Wache der Trapo auf dem Hauptbahnhof gestürmt, und die sich dort befindlichen Waffen entwendet.

Nähere Information darüber lautet wie folgt:

Gegen 14.30 Uhr erschienen ca. 60 bis 80 Personen vor der Wache der Trapo auf Bahnsteig 1 des Leipziger Hauptbahnhofes und zerschlugen die Fenster und Transparentscheiben. Auf Anweisung des Amtsleiters, Gen. VP-Rat Raack, wurden die Waffen alle in den Panzerschrank abgelegt. Bei dieser Handlung drängten die Schreier in die Räume der Wache und des Amtsgebäudes. Hierbei wurde der Gen. VP-Wm. L., der mit dem Einschließen der Waffen beschäftigt war, in den Unterleib getreten. Die Eindringlinge kamen unter der Anführung des ehemaligen VP-Angehörigen K. in den Besitz von 32 Pistolen. Nachdem die Wache und Amtsräume durchsucht, wurden die dort angebrachten Bilder und Losungen heruntergerissen. [sic!]

Durch Angehörige der Sowjet-Armee wurden die Eingedrungenen aus der Trapo-Wache und dem Bahnhof vertrieben.

Nach Aussagen des Verbindungsmannes der Trapo im Einsatzstab des VPKA Leipzig haben verschiedene Genossen der Trapo vor dem Angriff auf die Dienststelle ihre Schulterstücke entfernt.

Am späten Nachmittag des 17.6.1953 und 18.6.1953 versuchten Provokateure, und zwar meist Jugendliche, das Gebäude der BDVP und MfS anzugreifen, wobei ein Teil der Rädelsführer festgenommen werden konnte.

Am 17.6.1953 wurden die Provokateure durch Genossen des MfS, der BDVP und durch Soldaten der Sowjet-Armee unter Anwendung der Schußwaffe zerstreut.

Am 18.6.1953 wurden die Angreifer durch Angehörige der BDVP und MfS und Einsatz eines Tanklöschfahrzeuges zurückgeschlagen.

Zu erwähnen ist noch, daß am 17.6.1953 gegen 15.20 Uhr Provokateure unter Vorhalten von Schußwaffen den Gruppenposten in Leipzig Wahren aufforderten, die Waffen abzugeben und die Dienststelle zu verlassen.

Von den VP-Angehörigen wurden die Waffen nicht herausgegeben, aber auch kein Widerstand entgegengesetzt.

Trotzdem zogen sich die Provokateure zurück und fuhren mit einem LKW ohne Nummer-Schild in Richtung Schkeuditz davon. Das Fahrzeug wurde in Schkeuditz von Angehörigen des MfS gestellt, die Insassen konnten festgenommen werden.

Angriffe, Provokationen, Tätlichkeiten wurden von den faschistischen Provokateuren auf die LVZ, Post- und Fernmeldeamt, SVK und andere Objekte unternommen, die von den Betriebsangehörigen abgeschlagen wurden.

Mit der Bekanntgabe des Ausnahmezustandes und vor allem durch das Erscheinen von sowj. Panzern in den Straßen der Stadt und deren Einsatz an Brennpunkten war es möglich, die sich überall ansammelnden Massen zu zerstreuen und größere Ausschreitungen in den Abendstunden zu verhindern.

Kreis Delitzsch

Nachdem am 17.6.1953, gegen 12.45 Uhr der Arbeitsschutzinspektor beim Rat des Landkreises Delitzsch die Arbeiter des Bahnhofes Delitzsch zum Streik aufgefordert hatte, und die Arbeiter des RAW Delitzsch gegen 14.00 Uhr in den Streik traten, formierten sich diese zu einem Demonstrationszug und zogen zu dem Gebäude der Kreisleitung, wo sie mit Steinen Fensterscheiben einwarfen.

Weiterhin drangen diese in das Innere des Gebäudes und zerstörten Bilder und Telefonleitungen. Hierbei handelt es sich vorwiegend um Arbeiter, welche 13.40 Uhr mit dem Zug von Bitterfeld gekommen waren.

Nachdem im VPKA der Angriff und das Eindringen der Provokateure in die Kreisleitung gemeldet wurde, setzte sich sofort eine Gruppe von Kriminalisten und 20 VP-Angehörige anderer Abteilungen in Marsch. In Verbindung mit sowj. Freunden wurde die Zurückdrängung der Menschen und die weitere Sicherung des Gebäudes der Kreisleitung durchgeführt.

Das Sprechen durch den Stadtfunk von Funktionären und VP-Offizieren sowie der Einsatz eines Löschfahrzeuges war betreffs Auflösung der Massen erfolglos.

Da die Demonstranten bereits in den Vorhof des VPKA eindrangen, und alle bisher angewandten Mittel wirkungslos blieben, wurde das Feuer eröffnet, und mit Unterstützung von Angehörigen der Sowjet-Armee konnten die Menschenmassen zurückgedrängt und zerstreut werden.

Kreis Eilenburg

In Bad Düben Kreis Eilenburg versammelten sich gegen 16.30 Uhr kleinere Gruppen von Arbeitern, die vorwiegend aus den Werken Wolfen und Bitterfeld gekommen waren.

Zu den Demonstranten kamen weitere Arbeiter mit Omnibussen aus Wolfen und Bitterfeld, so daß die Zahl auf 100 Personen anstieg. Diese fingen an zu randalieren und zerstörten die Friedensäule auf dem Marktplatz. Sie marschierten dann zur Parteigeschäftsstelle, wo sie Bilder und Losungen von der Wand rissen und zerschnitten. Daraufhin hatten sich die Demonstranten vor der Dienststelle des VP-Gruppenposten Düben konzentriert. Zu bemerken ist, daß diese Dienststelle vorher mit 15 VP-Angehörigen verstärkt wurde.

Die randalierenden Demonstranten forderten von der dortigen VP das Ablegen der Waffen und der Uniformstücke. Zwei Rädelsführer kamen bis in die Wachstube und forderten die Kapitulation, während ca. zehn Personen der Demonstranten sich im Vorraum aufhielten.

Nach Eintreffen eines Kdo. der VP und ein Kdo. der dortigen Kommandantur wurden die randalierenden Eindringlinge gegen 20.50 Uhr auseinandergejagt und die zwei in der Wachstube befindlichen Provokateure festgenommen.

Zu bemerken ist jedoch, daß den eindringenden zwei Provokateuren kein Widerstand entgegengesetzt wurde, um somit zu versuchen, mit Diskussionen die Provokation auf dem friedlichen Wege zu lösen.

Kreis Schmölln

Gegen 14.00 Uhr versammelten sich auf dem Marktplatz in Schmölln randalierende Menschenmassen, die provokatorische Losungen wie z.B. „Nieder mit der Regierung" ausriefen.

Die eingesetzten VP-Angehörigen versuchten mit Diskussionen auf die randalierende Masse einzuwirken, dies führte zu keinem Erfolg, und die Demonstranten konnten erst durch das Eingreifen der Sowjetarmee verstreut werden.

Kreis Borna

In dem Ort Groitzsch streikten am 18.6.1953 insgesamt acht Betriebe mit zusammen 800 Mann Belegschaft. Zu Demonstrationen kam es nicht.

In dem Ort Petschau stellten sich die Bauern gegen den Bürgermeister, rissen ein Bild des Staatspräsidenten herunter und zerschnitten die Telefonkabel. Volkspolizei in Verbindung mit den sowj. Freunden war es möglich, in wenigen Minuten die Zusammenballung von 200 Menschen zu zerschlagen.

Sonstiges

Die zahlenmäßige Beteiligung an den Demonstrationen am 17.6.53 wird in den vier genannten Kreisen auf ca. 30.000 Personen geschätzt. Davon entfallen allein auf die Stadt Leipzig ca. 25.000.

Weiterhin sind im Bezirk Leipzig am 17.6.1953 die Arbeiter von 28 Betrieben (ca. 12.300 Personen) in Streik getreten. Die Beteiligung liegt zwischen 25 und 100 %.

Verlauf des 18.6.1953

Am 18.6.1953 wurde ein sich in Liebertwolkwitz formierender Demonstrationszug vom Einsatzkommando der KVP zerstreut.

Im RAW Engelsdorf/Leipzig kam es bei Arbeitsbeginn zum Streik. Aufgrund der Meldung, daß Maschinen und Lokomotiven zerstört würden, wurde ein Kdo. der VP in den Betrieb beordert. Dieses Kdo. wurde durch Offiziere und Mannschaften der Sowjet-Armee unterstützt. Die Ordnung wurde wiederhergestellt und in den Vormittagsstunden die Arbeit wieder aufgenommen.

Besonders starke Anstrengungen, die Lage zu beherrschen, mußten am 18.6.1953 im RFT Stötteritz/Leipzig gemacht werden.

Die dortige Streikleitung verstand es immer wieder, die Arbeiter zum Streik aufzuputschen. Auch hier mußte die Hilfe der sowj. Freunde in Anspruch genommen werden, um die Streikleitung festzunehmen und die Arbeitsaufnahme durchzuführen.

Im Werk Ifa III wurde der dortige BS (B) durch die Betriebsangehörigen außer Aktion gesetzt, die Telegrafenzentrale besetzt und jedem der Zutritt in den Betrieb gestattet. Auch hier waren es Angehörige der Sowjet-Armee, die die VP unterstützten, um die Provokateure festzunehmen und die Ordnung wiederherzustellen.

Im Laufe des 18.6.1953 wurden vom VPKA Leipzig mit VP und KVP 76 Einsätze durchgeführt, um alle sich bildenden Ansätze zu Demonstrationen oder Provokationen im Keim zu ersticken.

Ebenfalls wurden von der BDVP und Wacheinheit 26 Einsätze durchgeführt. Diese richteten sich überwiegend auf entstehende Ansammlungen auf dem Platz des Friedens und den Außenbezirken der Stadt, wo alle entstehenden Unruheherde sofort beseitigt wurden. Diese Meldungen wurden durch die dort eingesetzten Funkwagen gegeben.

Es war zu vermuten, daß der zentrale Ausgangspunkt der Unruhen in Leipzig bei der Bau-Union in Leipzig Windmühlenstr. lag. Von dieser Großbaustelle aus fuhren vorwiegend halbwüchsige Personen mit ihren West-Fahrrädern in verschiedene Richtungen bzw. Stadtbezirke, um vermutlich in Betrieben die Arbeiter zu Demonstrationen aufzufordern.

Einsätze der VP und KVP führten zu einer Reihe von Festnahmen und brachten das dortige Objekt zur völligen Ruhe, so daß ein normaler Arbeitsablauf wieder zu verzeichnen war.

An diesem Tag, den 18.6.1953, streikten im Bezirk Leipzig insgesamt 40 Betriebe (ca. 21.500 Personen). Die prozentuale Beteiligung lag zwischen 20 und 100 % der Belegschaftsstärke. In den meisten Fällen dauerten die Streiks nur wenige Stunden. Die Forderungen waren die gleichen wie am Vortage.

Im gesamten Bezirk wurden an diesen beiden Tagen ca. 480 Personen festgenommen, die sich an Provokationen beteiligt hatten bzw. an diesen Stellen der Zusammenrottung anwesend waren und bei deren Auflösung durch die VP Widerstand entgegensetzen.

Bewertung und Verhalten von Offizieren und Wachtmeistern in den Ämtern

[...]

Bewertung der leitenden Offiziere der Volkspolizei

[...]

Die Arbeit der Polit-Organe und der Parteiorganisationen

[...]

Waffenverluste und Munitionsverschuß

Im Verlauf der faschistischen Provokation und den damit verbundenen polizeilichen Einsätzen sind insgesamt 6 Waffenverluste eingetreten. Davon

2 Stück Karabiner,
4 Stück Pistolen.

Die Waffenverluste traten ein, indem einzelne Volkspolizisten von der Menge überfallen, niedergeschlagen und ihnen dabei die Waffen geraubt wurden.

Durch die eingesetzten VP-Kräfte (ohne KVP und Staatssicherheit) wurden rund

3.200 Schuß

durch Karabiner und Pistole auf die Provokateure und Angreifer abgegeben. In dieser Zahl sind die Warnschüsse enthalten.

Tote und Verletzte bei der Volkspolizei

Volkspolizei-Angehörige wurden bei den Einsätzen insgesamt

35 verletzt,
1 getötet.

Zu verzeichnen ist, daß ein großer Teil der Verletzten und auch der Tote Offiziere sind, was auf den persönlichen Einsatz dieser Offiziere zurückzuführen ist.

Auf Seiten der Demonstranten, Angreifer und Zivilisten sind insgesamt

7 Tote

zu verzeichnen, die durch Schußverletzung zustande kamen.

An Verletzten wurden bisher rund 60 Personen gemeldet. Der übergroße Teil mit Schußverletzungen.

Erfahrungen beim Einsatz
  1. Ungenügende Bewaffnung und Ausrüstung. Keine genügenden Munitionsbestände.
  2. Die Polizei-Kräfte waren nicht mit der Taktik im Straßenkampf vertraut, Verteidigung und Einnahme von Gebäuden und Objekten.
    Auseinanderschlagen von Ansammlungen und Demonstrationen.
    Notwendig die Ausbildung und Schulung zu verändern.
  3. Der Nachrichtendienst war nicht ausreichend.
  4. Es kamen oft Störungen an Telefonleitungen vor. Nachrichten-Übermittlung durch Kurier-Fahrer und Melder konnten wegen Straßensperrungen nicht vorgenommen werden.
    Notwendig die Funkverbindung in der Volkspolizei verbessern.
    Funkwagen-Einsatzgruppen mit Empfänger und Sendeapparaten.
  5. Der größte Teil der Verletzungen der VP-Angehörigen waren Kopfverletzungen, Schläge - Steinwürfe usw.
    Vorschläge: Jede BDVP erhält für seine Wachkompanie Stahlhelme, evtl. aus Beständen der Feuerwehr.
  6. Es hat sich gezeigt, daß nicht genügend erfahrene Sanitäter bei den eingesetzten VP-Kräften waren.
    Vorschlag: In jeder BDVP werden sofort Kurzlehrgänge für Sanitäter durchgeführt und sie mit der Maßnahme der ersten Hilfe vertraut gemacht.
  7. Es hat sich gezeigt, daß die BDVP's lange Zeit im Unklaren waren, welche Lage überhaupt bestand, weil von der vorgesetzten Stelle darüber keine Mittelung durchgegeben wurde. Dadurch gingen wertvolle Stunden verloren, die zur Einleitung von geeigneten Maßnahmen dienen konnten.
    Vorschlag: Den Chefs der BDVP werden in Zukunft solche Mitteilungen auf jeden Fall gegeben, wenn notwendig unter einem Kennwort oder verschlüsselt
  8. Die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Dienststellen: Staatssicherheit, KVP, Volkspolizei war dadurch gehemmt, weil von den erstgenannten Dienststellen, besonders KVP, mitgeteilt wurde, daß ohne Anweisung von Berlin an kein Eingreifen zu denken sei.
    Vorschlag: Prüfung inwieweit der Einsatz von KVP auf bezirkliche Ebene entschieden werden kann.
  9. Damit in Zukunft der Einsatz von Schußwaffen auf ein Mindestmaß zurückgestellt werden kann, wird vorgeschlagen:
Die Volkspolizei mit Tränengasgranaten und einigen modernen Wasserwerfern auszurüsten.
  1. Die Provokateure hatten in einigen Städten die Stadtfunkanlagen beschädigt.
    Um sofort in solchen Fällen Ersatz zu haben, wird vorgeschlagen, die Volkspolizei mit einer Anzahl Lautsprecherwagen auszurüsten.
  2. Um in Zukunft bei Besetzungen oder Streiks in Druckereien in der Lage zu sein, kurze Mitteilungen an die Bevölkerung herauszugeben, wird vorgeschlagen:
In jeder BDVP eine einfache Druckereieinrichtung zu schaffen.

Chef der BDVP Leipzig
[Unterschrift]
(Winkelmann)
VP.-Insp.

[Quelle: BArch, DO-1/11.0/305, Bl. 156-170 (Auszüge); - Namen von den Hg. anonymisiert; vollständig veröffentlicht in: Torsten Diedrich/Hans-Hermann Hertle (Hrsg.), Alarmstufe „Hornisse". Die geheimen Chef-Berichte der Volkspolizei über den 17. Juni 1953, Berlin 2003..]