Bezirk Magdeburg
Magdeburg gehörte neben Berlin, Halle, Jena, Görlitz und Leipzig zu den Schwerpunktregionen des 17. Juni 1953.
Eine der ersten Aktionen des Tages, die überliefert sind, fand im morgendlichen Berufsverkehr an der Straßenbahn-Linie 1 statt. Ein Mann begann gegen 6 Uhr die aus Magdeburg-Neustadt kommenden Straßenbahnen aufzuhalten. Er forderte die Fahrgäste auf, nicht zur Arbeit zu gehen, da der Generalstreik ausgerufen sei.
In den Morgenstunden erfasst die Streikbewegung sehr schnell das Ernst-Thälmann-Werk und weitere Magdeburger Großbetriebe. Gegen 9 Uhr hat sich schließlich ein bis zu 20.000 Menschen starker Protestzug formiert, der sich in Richtung Stadtgebiet bewegt. Zur gleichen Zeit sind noch weitere Demonstrationszüge unterwegs; eine überbetriebliche Koordination der Proteste ist nicht erkennbar.
Gegen 11 Uhr vereinigen sich die verschiedenen Züge im Zentrum der Stadt. Die Bezirksleitungen der FDJ und SED werden besetzt, vorübergehend auch die Niederlassungen des FDGB und die Redaktion der regionalen Tageszeitung "Volksstimme": Akten, Mobiliar und Bilder fliegen aus den Fenstern auf die Straße. Demonstranten dringen in das Magdeburger Fernmeldeamt ein, aber eine gezielte Unterbrechung des Fernmeldeverkehrs kommt nicht zustande.
Vor der Bezirksdirektion der Volkspolizei (BDVP) und der Haftanstalt des MfS im Magdeburger Stadtteil Sudenburg kommt es zu blutigen Auseinandersetzungen. Die Demonstranten versuchen, in diese Gebäude etwa zeitgleich gegen 11.30 Uhr einzudringen.
Bei der Haftanstalt der Staatssicherheit werden zunächst die vor dem Gebäude stehenden Wachposten gewaltsam entwaffnet. Mit den erbeuteten Waffen schießen Demonstranten in das Innere der Haftanstalt: Zwei Volkspolizisten und ein Angehöriger des Staatssicherheitsdienstes kommen dabei zu Tode. Die Befreiung der Gefangenen misslingt jedoch, weil in dieser Situation sowjetische Militäreinheiten eingreifen und von der Schusswaffe Gebrauch machen: drei Demonstranten werden getötet, unter ihnen ein 16jähriges Mädchen, das zufällig in die Demonstration geraten war; mehr als vierzig zum Teil schwerverletzte Demonstranten werden registriert.
Im Unterschied zur Strafvollzugsanstalt Sudenburg gelingt es Demonstranten am Nachmittag, die Untersuchungshaftanstalt Neustadt zu stürmen. Ohne Unterscheidung des Haftgrundes werden bei dieser Aktion 221 Inhaftierte befreit - unter ihnen auch kriminelle Straftäter.
Schon um 14 Uhr verhängt der sowjetische Militärkommandant von Magdeburg den Ausnahmezustand. Doch die Vielzahl der Schauplätze in der Stadt lassen die Wirkung der sowjetischen Militärpräsenz kurzzeitig verpuffen. Die Truppenstärke wird deshalb erhöht und gegen 16 Uhr geht das sowjetische Militär erneut gegen die Menschenansammlungen vor der Haftanstalt und der BDVP vor. Es dauerte zwei weitere Stunden, bis die Situation endgültig als "unter Kontrolle stehend" gemeldet wird.
Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei Magdeburg,
Analyse über den faschistischen Putsch am 17. und 18. Juni 1953 im Bezirk
Magdeburg
Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei Magdeburg,
Aufstellung der einzelnen Betriebe des Bezirkes und die Zahl der
beteiligten Streikenden
BDVP Magdeburg, Auswertung der Ereignisse seit dem 16.6.1953, 30.6.1953
Telefonische Meldungen und Durchsagen der SED im Bezirk Magdeburg
am 17. Juni 1953 an das ZK der SED (Auszüge)
[Quellen: Tagesmeldungen vom 17. Juni 1953, in: BA-SAPMO, NY 4062, Nachlaß Heinrich Rau, Materialsammlung über die Vorgänge am 17. Juni 1953 in der Republik, Signatur 94, Bl. 217-267; BStU-Außenstelle Magdeburg, Abteilung XIV, Nr. 4, Blatt 1-51; Diedrich 1991; Beier 1993; Puhle 1993.]
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