Otto Jacob
Der Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953 in Remkersleben [Auszug]


Was ist am 17. Juni 1953 in Remkersleben geschehen? - Wir waren auf dem Felde, beim Rübenhacken, das letzte Hacken mit der Hackmaschine. Plötzlich kam jemand quer Feld und fuchtelte mit den Armen. Wir konnten aber nicht deuten, was er uns sagen wollte. Als Robert nun bei uns war, erzählte er aufgeregt: "Bürgerkrieg bei uns in der DDR, die Regierung ist abgesetzt, wir haben die Macht!" Ich weiß nicht, was noch alles. "Sofort ausspannen und nach Hause!" Was wir dann auch taten. Vater brachte die Pferde in den Stall und wir beide gingen ins Dorf um zu sehen, was da los ist.

Es war Nachmittag, so ca. 15.00 Uhr, genau weiß ich die Zeit nicht mehr. Wir sahen ca. 15 bis 20 Mann, darunter konnten wir Herbert Kath, Horst Jenrich, Walter Speer ausmachen. Walter erzählte uns dann, dass sich die Obrigkeit - Bürgermeister Otto Host, der Vorsitzende der Nationalen Front Robert (Norre) Gebhardt, der ehemalige Bürgermeister Hermann Ihlau, Hermann Werner (Onkel Most genannt; er war in allen Kommissionen vertreten und wortführend, bei den Nazis und auch bei den Kommunisten) - im Getreide in der Feldmark versteckt habe.

Die Demonstranten riefen Parolen wie "Weg mit dem kommunistischen Pöbel, wir wollen keine Normen, wir wollen freie Wahlen" usw. Dabei wurden sämtliche Plakate und Parolen von den Wänden abgerissen. Das Gemeindebüro wurde gestürmt und Akten, besonders die landwirtschaftlichen Sollakten, durcheinander geworfen. Vor dem Haus von Hermann Werner an der Bushaltestelle stand eine große Holztafel, auf der quartalsweise die Sollerfüllung der einzelnen Bauernwirtschaften aufgeführt waren; diese wurde umgeworfen und zerstört.

Wir erlebten nur noch, als Werner Ziese und Joachim Slawinski kamen und uns aufforderten, nach Hause zu gehen, die russischen Panzer hätten in Berlin und auch in Magdeburg und anderen Städten die Lage bereinigt, die Regierung wäre wieder im Amt. Alle sahen sich erst einmal betöppert an und dann gingen alle diskutierend in ihre Behausungen.

Als ich bereits im Hause war, sah ich noch zwei russische LKWs: der eine mit Sandsäcken gepolstert, Soldaten mit Gewehr und MG im Anschlag, und der zweite LKW mit aufgesessenen Russen. Man hat später nicht mehr nachgeforscht, wer dabei gewesen war, es ist keiner bestraft worden, jeder hat im Wort dichtgehalten.

Ich habe versucht, nach 50 Jahren einiges als Zeitzeuge und Chronist festzuhalten, so weit meine Erinnerungen dieses noch hergaben. Es war mir wichtig aufzuzeigen, dass nicht alle DDR-Bürger 100 % hinter ihrer SED-Regierung standen. Zu DDR-Zeiten war es nicht möglich, sich mit dieser Situation zu beschäftigen oder diese Erlebnisse niederzuschreiben.

Am 18.6.1953 wurde durch Anschlag am Gemeindebüro und durch Ausruf des Gemeindedieners folgendes bekannt gegeben:

"Bekanntmachung!"

"Auf Befehl des Militärkommandanten ist über den Bezirk Magdeburg ab sofort der Ausnahmezustand verhängt.

Alle Demonstrationen, Versammlungen, Kundgebungen und Ansammlungen über drei Personen werden auf Straßen, Plätzen sowie vor öffentlichen Gebäuden verboten.

Jeglicher Verkehr von Fußgängern, Kraftfahrzeugen und Fahrzeugen wird von 21 Uhr abends bis 5 Uhr morgens verboten. Diejenigen, die gegen diesen Befehl verstoßen, werden nach dem Kriegsgesetz bestraft.

Der Gemeindevorsteher"

[Quelle: Bericht von Otto Jacob, Ortschronist Remkersleben, 2003; enthalten in: Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen in Sachsen-Anhalt, Materialerhebung zum 17. Juni 1953, Magdeburg 2003.]