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Dora Borchmann
9.1.1937 - 17.6.1953
gest. zu unbekannter Stunde in Magdeburg
Dora Borchmann wird am 9. Januar 1937 in Deutschbuckow, Kreis Stolp (Pommern), als viertes von sechs Kindern eines Zimmermanns geboren. Nach der Vertreibung siedelt sich die Familie im Magdeburger Raum an; der Vater findet in dem Dorf Hakeborn als Stellmacher Arbeit. Dora beendet 1952 die Schule, wird im gleichen Jahr konfirmiert und arbeitet für kurze Zeit im Braunkohletagebau, weshalb sie in verschiedenen Dokumenten als "Tiefbauarbeiterin" geführt wird.
Am 17. Juni 1953 fährt die Sechzehnjährige nach Magdeburg, um mit Unterstützung ihrer älteren Schwester Gertrud eine Lehrstelle anzutreten. Die Schwester arbeitet in einem der Schwermaschinenbaubetriebe im Südosten der Stadt, die an diesem Tage streiken. Wahrscheinlich treffen sie an diesem Vormittag niemanden an und geraten in die Demonstrationen. Von einem Schuss in die Brust getroffen, stirbt Dora Borchmann in den Armen der Schwester. Wo und wann, ist heute nicht mehr genau feststellbar.
Da Gertrud Borchmann inzwischen selbst verstorben ist, gibt es nur Berichte aus zweiter Hand. Ihr Bruder weiß zu berichten, dass Dora in der Karl-Schmidt-Straße, in der Nähe des Buckauer Bahnhofs erschossen worden sei. Als Beweis habe Gertrud noch die Einschüsse in einer Hauswand zeigen können. (1) Ein Verwandter weiß von einem Italiener, der damals am Hasselbachplatz wohnte, dass sie an den Gleisen neben den Gruson-Gewächshäusern (gegenüber der Sternstraße) gestorben sein soll. (2)
In den Dokumenten der Volkspolizei wird ein anderer Sterbeort angegeben: "Die B. war von Hakeborn nach Magdeburg gekommen, um hier angeblich Arbeit zu suchen. Dabei soll sie in die Demonstration geraten sein. Gegenüber der BDVP wurde sie durch einen Herzschuss tödlich getroffen. (...) Das VPKA Stassfurt wurde angewiesen, die Bestattung der Borgmann [sic] zu überwachen." (3) Auch auf der Sterbefallanzeige ist der Platz vor der BDVP "gegenüber der Halberstädter Straße 2" vermerkt. (4) In das Fami- lienstammbuch wird vom Standesbeamten zunächst der 19. Juni als Sterbedatum eingetragen, erst auf Drängen des Vaters wird es korrigiert. Nachricht vom Tod erhält die Familie auch durch einen Brief vom 18. Juni 1953: Jürgen Bornemann, ein Bewohner des Ledigenwohnheimes des Karl-Liebknecht-Werkes stellt sich für Informationen zur Verfügung. Leider ist auch er heute nicht mehr auffindbar. (5)
Die Beerdigung in Hakeborn findet unter großer Anteilnahme des Dorfes und, wie befohlen, unter "Polizeischutz" statt. (6) An den roten Ziegeln der Friedhofsmauer steht bald darauf mit schwarzer Farbe: "Russki go home". Dora Borchmanns Bruder Hans-Jürgen berichtet: "Immer wieder wurde versucht, die Schrift zu entfernen, aber sie war noch jahrelang zu sehen." (7)
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1 |
Gespräch von Edda Ahrberg mit Hans-Jürgen Borchmann am 19.11.2003. |
2 |
Gespräch von Edda Ahrberg mit Kurt R. am 23.1.2004.
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3 |
Bericht der BDVP Magdeburg vom 24.6.1953, in: LHASA, Abt. Magdeburg, Rep. M 24, BDVP Magdeburg 1952-60, Nr. 179, Bl. 68.
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4 |
Die Sterbefallanzeige wurde vom VPKA Magdeburg, Abt. K, am 22.6.1953 getätigt. Sie vermerkt als Zeitpunkt des Todes "gegen 17.00 Uhr". Der Ablauf der Ereignisse und die Aussagen von Hans-Jürgen Borchmann deuten jedoch auf einen wesentlich früheren Zeitpunkt hin (vormittags oder am frühen Nachmittag). Auch eine Information des Oberbürgermeisters Daub spricht von zwei Toten, die gegen 12.00 Uhr schon bekannt waren und durch die Volkspolizei an der BDVP erschossen worden sein sollen: "darunter ein Kind von elf Jahren" (vgl. Information des Genossen Daub, in: LHASA, Abt. Magdeburg, Rep. P 13, Nr. IV/20/51, Bl. 24).
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5 |
Jürgen Bornemann verzog am 17.10.1953 nach Halle.
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6 |
Das Grab auf dem Friedhof in Hakeborn ist noch vorhanden. Der Grabstein vermerkt den Bibelvers Hiob 1,21.
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7 |
Gespräch von Edda Ahrberg mit Hans-Jürgen Borchmann am 19.11.2003.
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