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Elisabeth Bröcker
30.6.1888 - 17.6.1953 gest. gegen 16.00 Uhr in Leipzig vor dem HO-Kaufhaus Petersstraße
Elisabeth Bröcker wird am 30. Juni 1888 geboren. Sie ist Rentnerin, als die Ereignisse des 17. Juni 1953 ihre Heimatstadt Leipzig zu einem unsicheren Pflaster machen. Schwer zu sagen, wie viel sie von der Gefahr gewusst haben kann, in die sie sich begibt, als sie an diesem Tag das Haus verlässt. Sie ist in der Nähe des HO-Kaufhauses, in der Petersstraße, als ihr eine Kugel die Brust durchschlägt. Vielleicht wollte sie nur einkaufen.
Am HO-Kaufhaus entlädt sich an diesem Tag der Unmut über Preiserhöhungen und lange Warteschlangen. Die Versorgungslage ist acht Jahre nach Kriegsende noch immer unzureichend. Es gibt Lebensmittelkarten sowie Punktekarten für Bekleidung und Schuhe. 1953 hat sich die Lage noch einmal drastisch verschlechtert. "HO macht uns k.o." gehört zu den meistgehörten Parolen des Tages.
Gegen Mittag verlangen Demonstranten, vor allem Bauarbeiter von der benachbarten Baustelle, die sofortige Schließung des Kaufhauses, der Betriebsschutz verwehrt ihnen den Zugang. Seitdem gibt es dort ständig Menschenansammlungen. Über die Petersstraße marschieren fast ununterbrochen Demonstranten zum Markt. In den Nachmittagsstunden zwischen 15.00 und 16.00 Uhr stürmen sie das Kaufhaus. Daraufhin wird auch hier scharf geschossen. (1) Zahlreiche Verletzte sind zu beklagen.
Die tödlich getroffene Elisabeth Bröcker ist eine Unbeteiligte, was der Polizei offenbar peinlich ist. Irgendein Selbstverschulden will man ihr nachsagen: "Die Bröcker dürfte sich wahrscheinlich aus Neugierde während der Zeit der Ereignisse dort aufgehaltenhaben", heißt es in einem Polizeibericht. (2) Die Erschossene wird in die Universitätsklinik gebracht, wo man um 16.20 Uhr den Tod feststellt. (3)
Trauerfeiern sind während des Ausnahmezustands untersagt. Elisabeth Bröcker wird zusammen mit den anderen Toten dieses Tages am 20. Juni zwischen 2.15 Uhr und 7.30 Uhr unter Ausschluss der Öffentlichkeit und der Anverwandten auf dem Leipziger Südfriedhof eingeäschert. (4) Erst am 15. Juli, vier Tage nach Aufhebung des Kriegsrechtes in Leipzig, gibt der Staatsanwalt die Urne zur Bestattung frei. (5)
Elisabeth Bröcker wird am 20. August um 11.00 Uhr auf dem Leipziger Südfriedhof beigesetzt. (6) Der mit der Überwachung der Trauerfeier beauftragte Kriminalpolizist meldet: "Anwesend 12 Personen, keine Vorkommnisse." (7) Im Zusammenhang mit dem 50. Jahrestag des Volksaufstandes wird die Urne am 26. November 2002 durch das Grünflächenamt der Stadt Leipzig in die Grab- und Gedenkanlage für die Opfer der stalinistischen Gewaltherrschaft im Urnengarten Nord auf dem Leipziger Südfriedhof umgebettet. Schon seit 1994 ist der Name von Elisabeth Bröcker hier neben anderen Opfern auf einem Gedenkstein vermerkt. (8)
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1 |
Roth, Der 17. Juni 1953 in Sachsen, S. 121; sowie Bericht des Operativstabs der HVDVP "über die getöteten Personen anläßlich der Vorkommnisse am 17. und 18.6.1953" vom 18.6.1953, in: BA, DO-1/11.0/304, Bl. 156-159.
2 Aktennotiz der BDVP Leipzig, "Todesfälle, die im Bezirk bekannt wurden", 18.6.1953, in: SächsStAL, BDVP 24/42, zit. nach: Roth, Der 17. Juni 1953 in Sachsen, S. 121. |
2 |
Aktennotiz der BDVP Leipzig, "Todesfälle, die im Bezirk bekannt wurden", 18.6.1953, in: SächsStAL, BDVP 24/42, zit. nach: Roth, Der 17. Juni 1953 in Sachsen, S. 121.
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3 |
Leichenschein vom 18.6.1953, in: SächsStAL, BDVP 24/42, Bl. 348. |
4 |
Aktenvermerk der BDVP Leipzig vom 20.6.1953, in: SächsStAL, BDVP 24/42, Bl. 367. Im Kremationsbuch des Leipziger Südfriedhofs ist die Einäscherung um 10.50 Uhr vermerkt. Die Erfassung erfolgte allerdings erst am 22.6.1953 unter der Einäscherungsnummer 138351. |
5 |
Analyse der SED-KL Delitzsch "über die Entstehung des Ausbruchs des faschistischen Abenteuers vom 20.6.1953, in: SächsStAL, SED IV/4/04/345, unpag., zit. nach: Roth, Der 17. Juni 1953 in Sachsen, S. 142. |
6 |
Ein Nutzungsrecht für die Grabstätte auf dem Leipziger Südfriedhof in der XIV. Abteilung, Rabatte Nr. 412, besteht nicht mehr. |
7 |
Aktenvermerk der BDVP Leipzig "Freigabe der Urnen zur Beisetzung" vom 22.8.1953, in: SächsStAL, BDVP 24/42, Bl. 371. |
8 |
Schreiben des Grünflächenamtes Leipzig, Abt. Friedhöfe an das Bürgerkomitee Leipzig e.V. vom 2.2.2004, sowie mündliche Auskünfte. Siehe auch: Kaminsky, Orte des Erinnerns, S. 323/324. |
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