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Alfred Dartsch
8.11.1910 - 18.6.1953
hingerichtet gegen 14.15 Uhr in Magdeburg auf dem Gelände der Strafvollzugsanstalt Sudenburg
Alfred Dartsch wird am 8. November 1910 in Liegnitz geboren, er ist gelernter Maler und im Juni 1953 beim VEB ABUS Förderanlagen als Lackierer beschäftigt.
Am 17. Juni beteiligt er sich an der Erstürmung des Gefängnisses Sudenburg. An den vier Ecken der Gefängnismauer stehen Wachtürme, die nur von außen erreichbar sind. Die Wachposten können sich also nicht nach innen in Sicherheit bringen, sie sitzen in der Falle. Die Posten erkennen bald, dass sie gegen diese Menschenmassen nichts ausrichten können und kommen nacheinander mit erhobenen Händen von ihren Türmen. Sie müssen ihre Karabiner abgeben, die samt Munition an einen Eisengitterzaun gehängt werden. Auch die Uniformjacken legen sie ab, dann lässt man sie laufen.
"Von Übergriffen habe ich selbst nichts gesehen", berichtet ein damals beteiligter Zeitzeuge, "im Ganzen gesehen verlief alles bis dahin erstaunlich friedlich. Inzwischen mussten wohl die Gefangenen gemerkt haben, dass draußen etwas vor sich ging, und sie zerschlugen die Holzblenden vor ihren Gitterfenstern. (...) Als sie nun sahen, was sich hier unten abspielte, wurden Rufe laut: ‚Holt uns raus!‘. Das wurde auch versucht, aber das schwere Holztor war zu massiv (...). Dann tauchten auf dem Dach einige SSD-Leute (Staatssicherheitsdienst) in ihren blauen Stiefelhosen auf, die ihre Pistolen zogen und in die Menge schossen, ob gezielt oder nur Warnschüsse, war nicht auszumachen. Aber das reizte die Menge erst recht." (1)
Beim Sturm auf das Gefängnis werden zwei Polizisten und ein MfS-Mann erschossen. Einen von ihnen, Gerhard Händler, soll Alfred Dartsch mit einem der erbeuteten Karabiner getötet haben. Nach einem Schnellverhör durch Beamte der Kriminalpolizei und des MfS wird er den "Freunden" ausgeliefert. "Vom MfS wurde den Freunden der Alfred Dartsch übergeben. Bei einer kurzen informatorischen Vernehmung gab er zu, aus dem Fenster des der Anstalt gegenüberliegenden Gerichtsgebäudes in die Anstalt geschossen zu haben. Den Karabiner sollen andere Demonstranten ihm aus einem Fenster zugeworfen haben. Er will ihn anschließend zerschlagen und weggeworfen haben. Eine eingehende Vernehmung war nicht möglich, da Dartsch sofort von den Freunden übernommen wurde." (2)
Die verurteilen ihn – wie auch Herbert Stauch - in einem Schnellverfahren zum Tod durch Erschießen. Nicht in einem einzigen Fall dieser standrechtlichen Urteile erscheine das Strafmaß auch nur annähernd gerechtfertigt, schreibt Ilko-Sascha Kowalczuk: "Ohnehin arbeiteten die sowjetischen Militärtribunale nicht nach rechtsstaatlichen Prinzipien. Den Angeklagten stand kein Verteidiger zur Seite, lediglich ein Dolmetscher; die Strafmaße waren vorher festgelegt worden, und die Gerichtsverfahren dauerten nur wenige Minuten." (3) Die Kriminalpolizei versucht, die Todesfälle in den eigenen Reihen zu klären. Die Suche nach einem anderen Tatverdächtigen bricht ab. Die Polizisten geben Widersprüchliches zu Protokoll. Einer glaubt, Alfred Dartsch erkannt zu haben, als er den Karabiner durch ein Loch im Gefängnistor steckte und schoss. (4)
Am nächsten Tag steht in der Magdeburger Presse zu lesen, dass Alfred Dartsch zusammen mit Herbert Stauch "wegen der aktiven provokatorischen Handlungen am 17.6.1953, die gegen die festgelegte Ordnung gerichtet waren, als auch wegen der Teilnahme an den banditischen Handlungen vom Gericht des Militärtribunals zum Tode durch Erschießen verurteilt worden sind." Die Hinrichtung der beiden angeblichen Haupträdelsführer stellt bis heute insofern einen Sonderfall dar, als es deutsche Volkspolizisten waren, die das Todesurteil eines sowjetischen Tribunals vollstrecken mussten. Da es sich im juristischen Sinne um eine Exekution auf sowjetischen Befehl handelt und nicht um einen Totschlag, stellt die Magdeburger Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen gegen die Schützen im Jahr 1998 ein. (5)
Gemäß Artikel 3 des Gesetzes "über die Rehabilitation der Opfer der politischen Repression" wird Alfred Dartsch am 9.12.1996 ebenso wie Herbert Stauch vom Generalstaatsanwalt der Russischen Föderation rehabilitiert.
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Dieter Weckel, in: Anne Haertel, Die Ereignisse um den 17. Juni 1953 im Bezirk Magdeburg, Reihe Sachbeiträge der Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in Sachsen-Anhalt Nr. 28, Magdeburg, 2003, S. 23ff.
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2 |
Aktenvermerk der MUK über informatorische Vernehmungen vom 17.6.1953, in: LHASA, Abt. Magdeburg, Rep M 24 1952-1960, Nr. 183, Bl. 10.
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3 |
Ilko-Sascha Kowalczuk, 17. Juni 1953 – Volksaufstand in der DDR, Bremen 2003, S. 264.
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4 |
Vgl. LHASA, Abt. Magdeburg, Rep. M 24 1952-1960, Nr 183, Bl. 5/6.
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5 |
Vgl. Magdeburger Volksstimme, 4.6.2002.
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