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Tote des 17. Juni 1953
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Alfred Diener

1.2.1927 - 18.6.1953
hingerichtet in Weimar im Gebäude der sowjetischen Kommandantur


Alfred Diener wird am 1. Februar 1927 in Jena geboren und erlernt nach der Volksschule das Schlosserhandwerk. Nach dem Arbeitsdienst und einem Einsatz an der Ostfront geht er 1945 zunächst zur Volkspolizei, unternimmt dann 1949 einen glücklosen Versuch, in Westdeutschland Fuß zu fassen, um schließlich, nach Jena zurückgekehrt, in einer Autoreparaturwerkstatt seinem erlernten Beruf nachzugehen. Von Kollegen wird er als zuverlässiger Arbeiter beschrieben. Alfred Diener ist mit Margot Strauß liiert, ihr kleiner Sohn ist ein halbes Jahr alt. Am 19. Juni 1953 soll die Hochzeit sein, die Gäste sind geladen.

Am Morgen des 17. Juni 1953 setzen sich in Jena beinahe gleichzeitig die Demonstrationszüge unter anderen der großen Firmen Zeiss, Schott und Jenapharm in Richtung Holzmarkt in Bewegung. Unterwegs werden die Gebäude verhasster politischer Organisationen attackiert oder erstürmt, so der Nationalen Front, des FDGB, der FDJ, des MfS und die Untersuchungshaftanstalt.

Bald haben sich etwa 20.000 Demonstranten auf dem Holzmarkt eingefunden, gegenüber der SED-Kreisleitung. Alfred Diener ist dabei, als gegen 10.00 Uhr Delegierte der Kohlearbeiter (unter ihnen Walter Scheler und Herbert Bähnisch) in die SED-Kreisleitung eindringen und dem Ersten Sekretär die Forderungen der Demonstranten vortragen. Sofern der Vorwurf im späteren Todesurteil zutrifft, fordert Alfred Diener den Funktionär auf, sich am offenen Fenster zu zeigen und vor den versammelten Massen Rechenschaft abzulegen. "Diener hatte gar kein Mandat, er muß aus Neugier einfach mitgegangen sein. Oder er wollte nur seinem Unmut Luft machen. Walter Scheler, der in diesen Minuten Alfred Diener zum ersten Mal sah, kann über die Motive des 26jährigen Schlossers keine Auskunft geben. 'Er war einfach da. Zu dritt standen wir dem SED-Mann gegenüber, der nur dümmliche Phrasen von sich gab.'" (1)

Inzwischen sind draußen sowjetische LKWs vorgefahren, gegen 14.00 Uhr werden die drei von den Besatzungstruppen verhaftet und in einem Jeep in die Kaserne Löbstedt gefahren. Hier werden sie unter Misshandlungen verhört und am nächsten Morgen ins Gerichtsgefängnis von Weimar transportiert, wo seit Juli 1945 der sowjetische Geheimdienst NKWD residiert. Walter Scheler erinnert sich, dass es den Gefangenen fast unmöglich war, während der Fahrt miteinander zu sprechen. "Ich weiß nur noch, dass Alfred sagte: 'Haltet dicht, ich nehme alles auf mich.' Die Konsequenzen konnten wir alle nicht einmal erahnen." (2)

Alfred Diener wird am Morgen des 18. Juni durch ein sowjetisches Militärtribunal zum Tode verurteilt und im Gebäude der Sowjetischen Kommandantur, der heutigen Polizeiinspektion, hingerichtet. "Das Urteil gründet sich im Wesentlichen auf Artikel 58 Absatz 2 des Strafgesetzbuches der RSFSR, der den Tatbestand des bewaffneten Aufstandes und des Eindringens von bewaffneten Banden in das Sowjetgebiet in konterrevolutionärer Absicht unter Strafe stellt, es dokumentiert in soweit die absurd verfehlte Anwendung durch die sowjetische Militärjustiz in der DDR." (3)

Wie und wo genau Alfred Diener hingerichtet wird, was mit dem Leichnam geschieht, ist bis heute ungeklärt. Die Angehörigen und Freunde erfahren noch am 18. Juni von der Hinrichtung: Überall in der Stadt hängen entsprechende Plakate, Lautsprecherwagen verkünden in allen Stadtteilen das Urteil, am 19. und 20. Juni wird die knappe Mitteilung des sowjetischen Stadtkommandanten in den drei Lokalzeitungen abgedruckt. Nachdem die Moskauer Führung beschlossen hatte, den Ausnahmezustand zu verhängen und die Menschenmassen mit allen Mittel zu zerstreuen, wurden Abschreckungsmaßnahmen angeordnet, nämlich die "Rädelsführer" zu verhaften und standrechtliche Erschießungen vorzunehmen.

Der damalige Hohe Kommissar der UdSSR für Deutschland, Wladimir S. Semjonow, erinnert sich an den 17. Juni 1953: "Um 11.00 Uhr erhielten wir die Weisung aus Moskau, das Feuer auf die Aufrührer zu eröffnen, militärische Standgerichte einzurichten und zwölf Rädelsführer zu erschießen. Die Mitteilung über die Exekutionen sollten in der Stadt ausgehängt werden. (...) Die Plakate an den Litfasssäulen hatten einschüchternde Wirkung. Es gelang uns, die Flamme zu löschen, bevor sie sich ausbreitete. Der "Tag X" fand nicht statt." (4)

Alfred Diener ist einer derjenigen, die diesem Befehl zufolge - relativ zufällig - als abschreckendes Beispiel standrechtlich erschossen wurden. Es gibt Mutmaßungen, dass eine von ihm entwendete Dienstvorschrift oder auch seine frühere KP-Mitgliedschaft eine Rolle gespielt haben könnten. Beides konnte im Urteil nicht erwähnt werden. Nach dem 18. Juni scheint es, als habe es einen Alfred Diener in Jena nie gegeben: Kein Hinweis auf seinen Namen in der Kreismeldekartei, keine Sterbeurkunde, kein Grab. Ein Angehöriger bekennt: Aus Angst vor Repressalien habe zu DDR-Zeiten niemand gewagt, Nachforschungen anzustellen. (5)

Seit 1993 gibt es in Jena eine Alfred-Diener-Straße. 1995 erklärt der Generalstaatsanwalt der Russischen Föderation das Urteil in allen Teilen für null und nichtig, Alfred Diener wird rehabilitiert. Am 18. Juni 1996 enthüllt der Weimarer Oberbürgermeister an der Fassade des Hinrichtungsortes, der heutigen Polizeiinspektion, eine Gedenktafel, die an den Erschossenen erinnert.



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1 Wir danken Heinz Voigt für die freundliche Genehmigung zur Verwendung seines Beitrages: "Haltet dicht, ich nehme alles auf mich". Am 18. Juni ermordet: Alfred Diener aus Jena, in: Gerbergasse 18, Nr. 29/2003, S. 51/52, auf den sich die Darstellung maßgeblich stützt.
2 Ebd.
3 Roth, Der 17. Juni 1953 in Sachsen, S. 61.
4 Wladimir S. Semjonow, Von Stalin bis Gorbatschow, Berlin 1995, S. 296 ff.
5 Vgl. Thüringer Allgemeine, 16.6.1990, S. 3.


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