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"Erna Dorn"
gest. 1.10.1953
unter dem Fallbeil in Dresden
Unter dem Namen "Erna Dorn" wurde eine Frau, deren Identität bis heute ungeklärt ist, am 22. Juni 1953 als "Rädelsführerin" vom Bezirksgericht Halle zum Tode verurteilt und – zumindest den Akten nach – am 1. Oktober 1953 in Dresden mit der "Fallschwertmaschine" hingerichtet. Am 22. März 1994 erklärte die Staatsanwaltschaft Halle das Todesurteil für rechtswidrig und hob es auf. Die Recherchen zu ihrem Fall stoßen bis heute auf immer neue Rätsel, Widersprüche, Ungereimtheiten, auch Zeugnisverweigerungen noch lebender Zeitzeugen.
Der Fall der "KZ-Kommandeuse von Ravensbrück, Erna Dorn", die am 17. Juni in Halle mit "faschistischen Hetzreden" zu neuen Gewalttaten aufgerufen haben soll, ist eine Legende der SED-Propaganda. Sie wirkt bis heute nach, nicht nur in Stephan Hermlins Erzählung "Die Kommandeuse" von 1954, worin der Autor die entsprechenden Artikel in der DDR-Presse für bare Münze nimmt. (1)
So war am 26. Juni 1953 im "Neuen Deutschland" unter der Überschrift "Erna Dorn alias Gertrud Rabestein" die Biographie einer unter ehemaligen Häftlingen des Konzentrationslagers Ravensbrück berüchtigten SS-Hundeführerin auf die beschuldigte "Rädelsführerin von Halle" übertragen worden. Gertrud Rabestein war aber tatsächlich bereits 1948 verurteilt worden und verbüßte im Juni 1953 ihre lebenslängliche Haftstrafe im Zuchthaus Waldheim; sie verstarb Mitte der 70er Jahre im Zuchthaus Hoheneck. Und auch die angebliche "Rädelsführerschaft" der Erna Dorn erweist sich als unwahrscheinlich. André Gursky, Leiter der heutigen Gedenkstätte "Roter Ochse" in Halle, resümiert seine jahrelangen Recherchen in diesem Fall: "Belegbar ist die Führerschaft einer Frau Erna Dorn am 17. Juni 1953 weder im Zentralen Streikkomitee von Halle noch in anderen Streikleitungen. Ihr Wirken im Umfeld des Volksaufstandes bleibt nebulös, ebenso ihre aktenkundig vermerkte Hinrichtung in Dresden. Der Hinrichtungsfall selbst kann als Justizmord im Parteiauftrag bezeichnet werden, wobei die Identität der Hingerichteten bis heute nicht geklärt werden konnte." (2)
Die angeblich aus Ostpreußen stammende Frau kam im November 1945 unter falschem Namen nach Halle, sie gab sich als ehemalige KZ-Insassin aus und erhielt als "Opfer des Faschismus" (OdF) zahlreiche Vergünstigungen. Noch im selben Jahr trat sie der KPD (ab 1946 SED) bei und heiratete einen Volkspolizisten und ehemaligen Spanienkämpfer. Ob sie sich als Nazitäterin eine neue Identität verschaffen wollte, bleibt ungeklärt. Jedenfalls hatte sie schon bald eine Arbeit und eine Wohnung; Probleme bereitete ihr die endgültige Anerkennung als "OdF", da sie keine verlässlichen Zeugen ihrer KZ-Inhaftierung nachweisen konnte. Im August 1948 fand in Halle der Prozess gegen die KZ-Aufseherin Gertrud Rabestein statt, in welchem Erna Dorn als Zeugin auftreten sollte. Sie entzog sich der Aussageaufforderung mit dem Vorwand, sie sei schwanger. In einem Dokument der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes" (VVN) heißt es: "Sie (Dorn) entzog sich dieser Pflicht und spielte, sage und schreibe zwei Jahre lang mit Kissen ausgestopft die schwangere, nicht vernehmbare Frau". (3) Die vorgetäuschte Schwangerschaft verhalf ihr außerdem zu den Sonderzuteilungen für Schwangere. Ob es allein dieser Betrug war, der Erna Dorn Ende des Jahres 1949 in Untersuchungshaft brachte, lässt sich nicht mehr ermitteln.
Fest steht, dass sie im Januar 1950 wegen "Betruges und Wirtschaftsvergehens" zu elf Monaten Gefängnis verurteilt wurde. Dem Urteil folgte der Ausschluss aus der SED, ihr Mann ließ sich scheiden und verbot ihr, seinen Namen weiterzuführen. Nachdem sie die Strafe verbüßt hatte, blieb sie nur wenige Wochen auf freiem Fuß. Im Januar 1951 wurde die inzwischen arbeits- und obdachlose Frau erneut festgenommen: Zusammen mit Komplizen hatte sie unter anderem die Reisenden im Halleschen Bahnhof bestohlen. Nun wurde sie zu einem Jahr und sechs Monaten Zuchthaus verurteilt.
Im selben Jahr begann Erna Dorn sich mit zum Teil grotesken Geschichten immer mehr selbst zu belasten. Ob sie sich damit vor ihren Mitgefangenen hervortun oder sich an Menschen rächen wollte, von denen sie sich verraten fühlte, bleibt offen. Erst beschäftigte sie die Behörden mit Berichten von ihrer angeblichen Agenten- und Spionagetätigkeit, dann behauptete sie, ihr Ex-Mann sei in Wahrheit der ehemalige KZ-Kommandant von Ravensbrück. Alle Nachforschungen zu diesen Anschuldigungen blieben ohne Erfolg. Zuletzt berichtete sie von ihrer eigenen Nazi-Vergangenheit: Sie sei Gestapo-Sekretärin und Angestellte der politischen Abteilung im KZ Ravensbrück gewesen.
Auch diesmal blieben die Bemühungen der Untersuchungsorgane, den Wahrheitsgehalt ihrer Angaben zu überprüfen, ergebnislos. Dennoch wurde sie, nur zwei Wochen auf freiem Fuß, wiederum verhaftet und am 21. Mai 1953 als ehemalige "KZ-Aufseherin" wegen "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Das Gericht stützte sich dabei allein auf die Auslassungen der Angeklagten.
Am 17. Juni befand sich Erna Dorn in der Haftanstalt in der Kleinen Steinstraße, aus der sie gegen 16.00 Uhr von den Aufständischen befreit wurde. Nach eigenen Angaben begab sie sich zunächst zur Stadtmission, erhielt dort frische Kleidung und ging dann auf den Markt. Zahlreiche Augenzeugen der Kundgebung auf dem Hallmarkt wissen nichts vom Auftreten einer Frau auf der Rednertribüne. Was sie am 17. Juni in den Stunden zwischen ihrer Befreiung aus der Haftanstalt und der Ausgangssperre, also zwischen 16.00 Uhr und 21.00 Uhr getan hat, darüber gibt es auch keine Notiz in den zahlreichen Berichten der Volkspolizei, des MfS und der SED.
Alle Berichte über die Handlungen Erna Dorns zwischen 16.00 Uhr und 21.00 Uhr beruhen ausschließlich auf ihren eigenen Aussagen, die sie im Verhör am 21. Juni beim MfS gemacht hat, dem einzigen Verhör nach ihrer erneuten Verhaftung am 18. Juni. Es ist wahrscheinlich, dass sie mit Gewalt zu diesen Geständnissen gezwungen worden ist, im Vernehmungsprotokoll klingt die Sprache der Vernehmer durch, die nachweislich unter "Erfolgsdruck" standen.
Denn schon am 20. Juni war im Hallenser SED-Organ "Freiheit" ein Artikel erschienen, der die Dorn als SS-Kommandeuse und Anführerin des Aufstands hochstilisierte. Aufgrund ihrer Aussagen am 21. Juni wird sie einen Tag später ohne Zeugenvernehmung zum Tode verurteilt, die Berufung ihres Pflichtverteidigers und ihr Gnadengesuch an den Präsidenten Wilhelm Pieck werden abgelehnt. Am 28. September bringt man sie in ein Dresdener Gefängnis, wo sie am 1. Oktober hingerichtet wird. Sofern man den Akten in diesem Punkt trauen darf. Gesicherte Erkenntnis bleibt, dass der Fall der "Massenmörderin" und "KZ-Bestie Erna Dorn" ein Produkt der SED-Propaganda ist.
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1 |
Stephan Hermlin, Die Kommandeuse, in: "Arkadien", Leipzig, 1985, S. 178 ff. |
2 |
André Gursky, Erna Dorn: "KZ-Kommandeuse" und "Rädelsführerin" von Halle – Rekonstruktion einer Legende, in: Hermann-Josef Rupieper (Hg.), " … und das Wichtigste ist doch die Einheit". Der 17. Juni 1953 in den Bezirken Halle und Magdeburg, Münster/Hamburg/London 2003, S. 350-380. |
3 |
Zitiert nach Gursky, Erna Dorn, S. 350 ff. |
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