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Gerhard Dubielzig
29.3.1934 - 17.6.1953
gest. um 15.30 Uhr in Delitzsch vor dem VPKA
Gerhard Dubielzig wird am 29. März 1934 in Delitzsch geboren. Sein Vater arbeitet im Leichtmetallwerk Rackwitz und gehört zum alten KPD-Kader. Gerhard hat zwei Geschwister; sein Bruder fällt jedoch im 2. Weltkrieg. Nach dem Besuch der Volksschule lernt Gerhard Dubielzig im Delitzscher Reichsbahn- Ausbesserungswerk (RAW) Maschinenschlosser; später arbeitet er in dessen Lehrbetrieb. (1)
Am Morgen des 17. Juni findet er die Werkstore verschlossen, die Frühschicht bleibt ausgesperrt, denn die Nachtschicht streikt bereits. Als mittags hunderte Schichtarbeiter aus den Industriebetrieben von Leipzig, Halle, Bitterfeld und Wolfen mit der Bahn zurückkehren, formiert sich in Delitzsch ein Demonstrationszug zur SED-Kreisleitung. In Sprechchören werden die Funktionäre zum Gespräch gefordert. Vergeblich.
Als man schließlich versucht, in das Gebäude einzudringen, antworten sowjetische Soldaten mit Warnschüssen aus ihren Maschinenpistolen. Der Protestzug wendet sich nun zum Volkspolizeikreisamt (VPKA) in der Dübener Straße. Dort fordern die Demonstranten in Sprechchören: "Gebt die Gefangenen raus!" Die Polizei setzt Löschfahrzeuge und Lautsprecherwagen ein, doch die Menge lässt sich nicht zerstreuen. Im Gegenteil, sie schwillt durch neue Schichtheimkehrer an.
Am Nachmittag dringen gegen 15.30 Uhr Demonstranten in den Vorhof des Polizeigebäudes ein. Nun werden aus den oberen Fenstern erst Warnschüsse, dann gezielte Schüsse abgefeuert. Die Demonstranten fliehen, zurück bleiben zwei Tote und mehrere Verletzte; Gerhard Dubielzig stirbt auf der Stelle an einem Kopfschuss. Bald fahren auch in Delitzsch sowjetische Panzer auf, und der Militärkommandant verhängt den Ausnahmezustand. Die beiden Toten werden von den Demonstranten ins Kreiskrankenhaus gebracht. Als die Morduntersuchungskommission der BDVP Leipzig davon erfährt, veranlasst sie noch in der Nacht die Überführung der Leichen in die Gerichtsmedizin nach Leipzig. (2)
Am nächsten Tag legen die Kollegen des 19jährigen Schlossers seinen Arbeitsplatz mit schwarzem Papier aus, darauf stellen sie Kerzen, Blumen und ein Portrait des Toten. Die Belegschaft zieht schweigend an diesem "Gedenksockel" vorbei. (3) Für die Hinterbliebenen wird Geld gesammelt, das der zuständige BGLer (Gewerkschaftsgruppenleiter) in der darauf folgenden Nacht an die Staatssicherheit aushändigen muss. Erst nach heftigem Protest der Kollegen erreicht die Spende Dubielzigs Familie.
Der Tod der beiden jungen Arbeiter von Delitzsch löst in den Betrieben des Kreises heftige Debatten, auch vereinzelt weitere Streiks aus. Am Morgen des 18. Juni streiken im RAW Delitzsch, dem Betrieb in dem Gerhard Dubielzig als Schlosser gearbeitet hatte, trotz des inzwischen verhängten Kriegsrechtes, etwa zweitausend Personen, darunter auch ca. 600 Parteimitglieder. (4) Die SED-Bezirksleitung Leipzig hat noch in der Nacht vom 17. zum 18. Juni "Richtlinien für die Diskussion mit den Arbeitern" herausgegeben.
Am 18. Juni sind seit dem frühen Morgen fünfzig Agitatoren in den vier großen Delitzscher Betrieben mit dem Agitations-Papier unterwegs. Die Kreisleitung Delitzsch stellt jedoch bald fest, dass der Einsatz keinen "durchschlagenden Erfolg" gehabt habe. (5)
Nach internen Berichten legen besonders die jugendlichen Belegschaftsmitglieder des RAW"ein herausforderndes Verhalten an den Tag" und "rotten sich" in der Lehrwerkstatt zusammen. Bilder führender Genossen werden abgehängt und Delitzscher Parteifunktionäre aus dem Betrieb vertrieben. (6) Aber auch in der Stadt Delitzsch selbst und sogar in den Schulen regt sich Protest. (7) Die Leipziger Kriminalpolizei händigt dem Vater am 18. Juni die letzten Habseligkeiten seines Sohnes aus. (8) Zusammen mit den anderen Toten des Volksaufstandes wird Gerhard Dubielzig am 20. Juni zwischen 2.15 Uhr und 7.30 Uhr auf dem Leipziger Südfriedhof eingeäschert, ohne die Angehörigen informiert, geschweige denn um Erlaubnis gefragt zu haben. (9)
Erst am 15. Juli, vier Tage nach Aufhebung des Kriegsrechtes in Leipzig, gibt der Staatsanwalt die Urnen zur Bestattung frei. (10) Gerhard Dubielzig wird am 24. Juli auf dem Friedhof Delitzsch beigesetzt. (11) An der Trauerfeier dürfen die Arbeitskollegen nicht teilnehmen. In einer Traueranzeige vom 31. Juli bedankt sich die Familie unter anderem auch bei der "Belegschaft des RAW Delitzsch für die Ehrung durch Ausschmückung seines Arbeitsplatzes". (12)
1996 wird auf Beschluss des Delitzscher Stadtrates am Ort des damaligen Geschehens eine Gedenktafel für die beiden Erschossenen angebracht. (13)
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1 |
Vgl. hierzu und zum Folgenden auch: Karl-Heinz Löser, Der Volksaufstand am 17. Juni 1953 im Kreis Delitzsch, hg. vom Landratsamt Delitzsch und der Stadtverwaltung Delitzsch, Delitzsch 1998.
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2 |
Spitzenmeldung der BDVP Leipzig, Abteilung K, AK/MUK an den Operativstab der
HVDVP vom 18.6.1953, in: SächsStAL, BDVP 24/42, Bl. 359.
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3 |
Ergänzungsbericht zum Situationsbericht der SED-KL Delitzsch vom 18.6.2003, in: Sächs-
StAL, SED IV/4/04/345, unpag., zit. nach: Roth, Der 17. Juni 1953 in Sachsen, S. 141.
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4 |
Vgl. Parteiaktivkonferenz der SED-PO des RAW Delitzsch, o.D. in: SächsStAL, SED
IV/7/034/2, zit. nach Roth, Der 17. Juni 1953 in Sachsen, S. 141.
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5 |
Vgl. Aktennotiz der SED-KL Delitzsch vom 18.6.1953, in: SächsStAL, SED IV/2/12/591;
zit. nach Roth, Der 17. Juni 1953 in Sachsen, S. 140.
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6 |
Ergänzungsbericht zum Situationsbericht der SED-KL Delitzsch vom 18.6.2003, in: Sächs-
StAL, SED IV/4/04/345, unpag., zit. nach: Roth, Der 17. Juni 1953 in Sachsen, S. 141.
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7 |
Vgl. den Beitrag zu Joachim Bauer in diesem Band.
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8 |
Aufstellung der BDVP Leipzig, Abt. K, AK/MUK vom 18.6.1953, in: SächsStAL, BDVP
24/42, Bl. 361.
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9 |
Aktenvermerk der BDVP Leipzig vom 20.6.1953, in: SächsStAL, BDVP 24/42, Bl. 367. Im
Kremationsbuch des Leipziger Südfriedhofs konnte ein Einäscherungsvermerk trotz intensiver
Recherche bisher nicht aufgefunden werden.
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10 |
Aktenvermerk der BDVP Leipzig vom 15.7.1953, in: SächsStAL, BDVP 24/42, Bl. 368.
Die Urne wurde am 22.7.1953 nach Delitzsch überführt und in die Obhut des dortigen
VPKA übergeben.
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11 |
Ein Nutzungsrecht für die Grabstätte auf dem Friedhof Delitzsch (Rabattengrab im alten
Teil 6, Grabnummer 21) besteht nicht mehr. Durch Umbenennung der Abteile in den siebziger
Jahren ist die genaue Grabstätte nicht mehr auszumachen.
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12 |
Anzeige in der Leipziger Volkszeitung vom 31.7.1953, abgedruckt in: Löser, Der Volksaufstand
am 17. Juni 1953 im Kreis Delitzsch, S. 23.
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13 |
Löser, Der Volksaufstand am 17. Juni 1953 im Kreis Delitzsch, S. 5 und 47. - Siehe auch:
Kaminsky, Orte des Erinnerns, S. 297/298.
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