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Wilhelm Ertmer
16.4.1901 - 17.6.1953
gest. um 10.35 Uhr in Rosslau
Wilhelm Ertmer wird am 16. April 1901 in Duderstedt geboren, er ist Uhrmacher in der Elbestadt, als die Roßlauer Werftarbeiter am frühen Morgen des 17. Juni ihren Streik beschließen. In einer außerordentlichen Betriebsversammlung haben die Genossen von der Parteileitung vergeblich versucht, die Belegschaft zu beschwichtigen; man traut ihren Worten nicht mehr. Die streikenden Arbeiter ziehen mit Sprechchören zum nächsten Großbetrieb, dem Elbewerk, dann nehmen sie Richtung auf die Baracken der Stadtverwaltung. Der Demonstrationszug, der inzwischen gewaltig angewachsen ist, nähert sich gegen 10.00 Uhr der Roßlauer Innenstadt.
Eine Autowerkstatt stellt einen LKW, provisorisch wird er zum Lautsprecherwagen umgerüstet. Der Bürgermeister wird abgeholt und begleitet den Zug, auf dem Friedensplatz werden Reden gehalten, eine Pyramide mit sozialistischen Losungen fällt unter den Schlägen von Ballhämmern, die die Werftarbeiter mitgenommen haben.
Vor dem Gerichtsgebäude wird die Freilassung der Gefangenen gefordert, dann das Tor mit einer Deichsel eingerammt. Schreibmaschinen, Akten fliegen aus dem Fenster. Der erste Gefangene kommt auf Strümpfen ins Freie. Ein Fleischer aus Rodeleben, den man verurteilt hatte, weil er in West-Berlin Därme zum Schlachten holen wollte.
Eine verhasste Staatsanwältin wird an den Haaren auf die Straße gezerrt, wird geschlagen und in eine Haftzelle gesperrt. Ein Mannschaftswagen mit elf Polizisten rückt an und wird von der Menge umgestoßen. Die Polizisten flüchten sich in die offene Haftanstalt. Die SED-Kreisleitung wird belagert, es fällt ein Schuss, man versucht, in die VP-Baracke einzudringen und greift den Amtsleiter tätlich an. Gegen 15.00 Uhr fährt ein Panzerspähwagen mit russischen Soldaten auf den Marktplatz; die letzte Durchsage vom Lautsprecherwagen lautet: "Leute, geht nach Hause, die Russen sind im Anmarsch!"
Bei alledem gibt es an diesem Tag in Roßlau nur einen Toten: den selbständigen Uhrmacher Wilhelm Ertmer, der auch dabei sein und mittun will, obwohl er um seine schwache Gesundheit weiß. Keine Kugel tötet ihn, sondern die Aufregung, denn er ist schwer herzkrank. Er ist dabei, als man versucht, vormittags die VP-Baracke zu stürmen; durch seinen plötzlichen Tod bekommt die Aktion einen Dämpfer, man lässt davon ab und wendet sich anderen Zielen zu. Auch diesen Toten fürchtet die Partei, er soll in aller Stille beigesetzt werden, die Angehörigen erst drei Stunden vor der Beerdigung Bescheid bekommen. (1)
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Vorschlag zur Beisetzung der Opfer vom 17.6.1953, 22.6.1953, in: LHASA, Abt. Merseburg, BdVP Halle, Rep. 19, Nr. 74, Bl. 95 ff. |
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