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Kurt Fritsch
25.5.1906 - 17.6.1953
gest. am Nachmittag in Magdeburg gegenüber dem Gebäude der BDVP
Kurt Fritsch wird am 25. Mai 1906 in Magdeburg geboren und besucht von 1913 bis 1921 die Volksschule. Am 4. Juni 1928 heiratet er die fünf Jahre jüngere Hilda Träbert. Sie haben fünf Kinder. Er arbeitet als Krananhänger im Schwermaschinenkombinat "Ernst Thälmann". Abends verdient er als Kellner Geld hinzu.
Am 17. Juni 1953 ist Kurt Fritsch mit seinem Schwiegersohn in der Stadt unterwegs. Beide beteiligen sich an den Versuchen, Gefangene zu befreien. Mittags, als die Panzer kommen, warnt der Schwiegersohn: "Laß uns gehen, es wird jetzt brenzlig." (1) Kurt Fritsch teilt diese Meinung nicht, der Schwiegersohn geht allein. Einige Zeit später stirbt Kurt Fritsch an einem Schuss, den nach einem Volkspolizeibericht ein sowjetischer Soldat abgab. (2)
Viel wissen wir nicht von ihm: Dass er in der Halberstädter Straße verstorben sei, vermerkt die Sterbefallanzeige, "gegenüber dem Haus Nr. 2". Die Formulierung vermeidet, den Ort genauer als Vorplatz der Bezirksbehörde der Volkspolizei zu benennen. Hier beginnen am Vormittag des 17. Juni die Auseinandersetzungen mit der Exekutive jener verhassten Staatsmacht, die ein Jahr zuvor, auf der II. Parteikonferenz der SED, zum Aufbau des Sozialismus und zur Jagd auf all jene geblasen hat, die ihr verdächtig scheinen, der "alten Ordnung" anzuhängen. Seither füllen sich die Gefängnisse. Und sollen an diesem Tag gestürmt und geöffnet werden.
Gegen 10.30 Uhr wird das Gefängnis in Sudenburg, wo sich auch die Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit befindet, berannt. Als ein Gefangenenkommando, das zur Arbeit ausgerückt war, wegen der Streiks zurückkehrt, wird dem Posten die Waffe entwendet und wenigstens diese Gefangenen sind frei. Die Menge versucht, in die Haftanstalt vorzudringen. Vergeblich. Es fallen Schüsse. Dann fahren russische T-34-Panzer auf und beginnen, die Menschenmenge zurückzudrängen.
Der Lehrer Klaus Hengmith, damals Student, erinnert sich: "Aus dem Turm des vorderen Panzers forderte ein junger Offizier über Lautsprecher immer wieder ‚Gehen sie nach Chause, alles wird geprift!‘ - ‚Ihr sollt abhauen, wir sind zu Hause!‘, ‚Wir regeln unsere Sachen selbst!‘ So oder ähnlich lauteten die Antworten auf die russische Aufforderung. Langsam bahnten sich die T-34 einen Weg durch die Menschenmenge, gefolgt von den SPWs (Schützenpanzerwagen). Die Gesichter der Russen auf ihnen wirkten wie versteinert, aber noch war nichts passiert. Da traf eine Flasche oder ein Stein den jungen Panzeroffizier. Er verschwand im Turm des Fahrzeugs wie das Kasperle von der Bühne, und Gelächter ertönte. Da peitschten die ersten Schüsse! Die Soldaten auf den SPWs hielten ihre Waffen jetzt im Anschlag, es schossen aber nur die Turm-MGs der Panzer. (...) Mit Latten und Rohren wurde auf die Fahrzeuge eingeschlagen, man warf Steine und brüllte. Die Soldaten saßen ab und bildeten Schützenketten. Sie versuchten, das Gelände Polizeipräsidium - Justizgebäude - Gefängnis zu räumen. Dabei kam es zu Handgreiflichkeiten zwischen Demonstranten und Soldaten, es fielen die ersten MP-Schüsse." (3)
In der Sprache eines VP-Berichterstatters lesen sich die Ereignisse etwas anders: Die Demonstranten, heißt es da, "verhielten sich ebenfalls gegenüber unseren Freunden provokatorisch, indem sie ihren Anweisungen, zurück zu gehen, Widerstand leisteten durch Erheben der Fäuste, Vorstellen vor den Panzern (sic!) und Bewerfen mit Steinen und Bierflaschen. Unsere Freunde benahmen sich sehr korrekt und versuchten, durch Diskussionen die Menschen zurückzudrängen. Daraufhin versuchten die Freunde, die Massen mit Panzern zurückzudrängen. Da aber die Provokationen immer größere Ausmaße annahmen, wurden einige luftgezielte Warnschüsse abgegeben. Unter den Massen entstanden ein Pfeifkonzert und Provokationen, besonders von Jugendlichen und Frauen, welche in Tätlichkeiten gegen die sowjetischen Freunde ausarteten. Danach schossen unsere Freunde scharf, wobei zwei Zivilisten tödlich verletzt (wurden) und mehrere Schussverletzungen erhielten. Die Demonstranten verließen fluchtartig die Straßen, bis auf einige ganz hartnäckige, die sich in einem Schuppen und Grünanlagen versteckten. Nach intensivem Abkämmen wurden sie aus den Verstecken herausgeholt und neun Festnahmen getätigt." (4)
Wo sich Kurt Fritsch aufgehalten hat und was genau passiert ist, wissen wir nicht. Nach dem Polizeibericht soll er einen Sowjetoffizier tätlich angegriffen haben, "indem er versuchte, diesen zu würgen und zu schlagen. Bei der Abwehr dieses Angriffs wurde F. von dem Offizier erschossen. Er erhielt einen Bauch- und Kreuzbeinsteckschuss. Da es sich um einen Provokateur handelt, wurde die Beerdigung des F. seitens der BDVP ohne Wissen der Angehörigen eingeleitet, um dadurch neue Provokationen zu vermeiden." (5) Was an dieser Schilderung wahr ist, sei dahingestellt.
Kurt Fritsch stirbt - so viel ist sicher - in den Nachmittagsstunden auf diesem Vorplatz an einem Bauchschuss. Ohne ärztlichen, vielleicht ohne jeglichen Beistand. Für seinen vermutlich qualvollen Tod gibt es keinen Zeugen. Seine Witwe erinnert sich: "Tage später erst fanden wir ihn in der Medizinischen Akademie neben einigen anderen Erschossenen, ohne dass ich benachrichtigt wurde." (6) Kurt Fritsch wird am 26. Juni eingeäschert, die Urne am 2. Juli bestattet. "Nur im engsten Verwandtschaftskreis, ohne Redner oder Pfarrer, mussten wir ihn auf dem Magdeburger Südfriedhof unter den Augen der damaligen Sicherheitskräfte beisetzen." (7)
Auf Antrag seiner Witwe wird Kurt Fritsch nach einem bürokratischen, Jahre andauernden und für sie strapaziösen Prozedere (8) 1996 endlich rehabilitiert und als Opfer des 17. Juni anerkannt. (9)
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1 |
Gespräch von Edda Ahrberg mit Hans-Jürgen Träbert, einem der Kinder der Familie Fritsch, am 31.3.2004.
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2 |
Die Sterbefallanzeige wurde vom VPKA Magdeburg, Abt. K, am 22.6.1953 getätigt. Sie vermerkt als Zeitpunkt des Todes "gegen 17.00 Uhr". Der Ablauf der Ereignisse deutet jedoch auf einen wesentlich früheren Zeitpunkt hin.
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3 |
Klaus Hengmith, in: Anne Haertel, Die Ereignisse um den 17. Juni 1953 im Bezirk Magdeburg, Reihe "Sachbeiträge" der Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in Sachsen-Anhalt Nr. 28, Magdeburg 2003, S. 31 ff.
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4 |
VPKA Magdeburg/Operativstab, Zusammenfassender Bericht über Provokationen und Störungen der öffentlichen Ordnung durch faschistische Agenten, 18.6.1953, in: LHASA, Abt. Magdeburg, Rep. M 24, BDVP Magdeburg 1952-60, Nr. 181, Bl. 69 f.
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5 |
Bericht der BDVP Magdeburg vom 24.6.1953, in: LHASA, Abt. Magdeburg, Rep. M 24, BDVP Magdeburg 1952-60, Nr. 179, Bl. 68.
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6 |
Hilda Lüer, die damalige Frau von Kurt Fritsch, in einem Schreiben zum Rehabilitierungsverfahren von 1991.
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7 |
Ebd. - Bestattet wurde Kurt Fritsch am 2. Juli 1953 auf dem Südfriedhof Magdeburg (Feld AR III-I 39). Das Grab ist nicht mehr vorhanden.
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8 |
So musste sich Hilda Lüer unter anderem folgendes Schreiben des Senats für Rehabilitierungsfragen beim Bezirksgericht Magdeburg vom 2.8.1991 gefallen lassen: "In der o.g. Sache werden Sie zu Ihrem Antrag auf Rehabilitierung darauf hingewiesen, dass der sich aus Ihren Angaben erschließende Sachverhalt keinen nach dem geltenden Recht rehabilitierungsfähigen Tatbestand darstellt (...)."
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9 |
Rehabilitierungsbescheid nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (2. SED-UnBerG) vom 13.3.1996.
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