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Tote des 17. Juni 1953
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Adolf Grattenauer

18.10.1902 - 13.9.1955
gest. im Haftkrankenhaus Meusdorf


Adolf Grattenauer wird am 18. Oktober 1902 als Sohn eines Tiefbautechnikers in Aschersleben geboren, macht eine landwirtschaftliche Lehre und arbeitet bis 1936 als Verwalter auf verschiedenen Rittergütern, danach als amtlicher Bodenschätzer in Königsberg. Im August 1939 wird er einberufen, geht als Unteroffizier (Futtermeister) in sowjetische Gefangenschaft, aus der er 1949 entlassen wird. 1950 hat er sich zum Betriebsleiter des Volkseigenen Gutes (VEG) Wengelsdorf emporgearbeitet und wird für seine gute Arbeit staatlich belobigt.

Über sein Verhältnis zur sozialistischen Landwirtschaft sagt seine Frau, Ruth Grattenauer, in einem Schriftsatz für das Rehabilitierungsverfahren ihres Mannes: "Er lehnte auch die großen Neuerungen der sowjetischen Landwirtschaft, die von der Partei als größte Errungenschaft verlangt wurden, ab. Er hatte ja in der Gefangenschaft mit eigenen Augen das Gegenteil gesehen. Als verantwortlicher Fachmann wollte er beweisen, wie man eine landwirtschaftliche Produktionsstätte ohne Marx und Mitschurin zum Erfolg führen kann." (1)

Am Morgen des 17. Juni hört Adolf Grattenauer Gerüchte von Streiks in den nahe gelegenen Industriezentren. Um sich selbst ein Bild zu machen, fährt er mit dem Motorrad nach Leuna und Merseburg, wo er Demonstrationszügen begegnet. Zurück auf dem Gut Wengelsdorf beraumt er eine Betriebsversammlung an, die nach Feierabend, gegen 16.30 Uhr stattfinden soll. Auf dieser Betriebsversammlung spricht Grattenauer zu den Arbeitern und Angestellten des Gutes. Seine Äußerungen zu den Ereignissen des Tages sind in etlichen Vernehmungsprotokollen ebenso unterschiedlich wie unzuverlässig wiedergegeben. Nach übereinstimmenden Aussagen sagte Grattenauer sinngemäß, es sei an der Zeit, dass die Regierung verschwindet, sonst drohe die große Pleite. Der Tag der Freiheit sei angebrochen, nun spüre jeder selbst, was Freiheit bedeute.

Nach dieser Versammlung versucht die Staatssicherheit, justiziables Beweismaterial und Zeugen gegen Grattenauer ausfindig zu machen, was offenbar nicht ganz einfach ist. Seine Frau berichtet von der Vernehmung eines leitenden Angestellten auf dem Gut. Dieser habe ihr nachher gestanden, dass er im Protokoll etwas anderes unterschrieben als tatsächlich gesagt habe, sie zitiert ihn mit den Worten: "Ich habe etwas anderes unterschreiben müssen, der Revolver lag auf dem Tisch, und ich habe doch Familie." (2)

Diese Vorgehensweise der Staatssicherheit ist den Vernehmungsprotokollen auf den ersten Blick anzusehen. Die erste Frage zur Sache wird von allen Zeugen mit ganz ähnlichen, gestanzten Formulierungen beantwortet, etwa so: "Am 17.6.1953 zeigte sich Grattenauer als Gegner der demokratischen Entwicklung in der Deutschen Demokratischen Republik." - Oder: "Am 17.6.1953 zeigte sich der Betriebsleiter Grattenauer negativ zur Deutschen Demokratischen Republik und in einer feindlichen Form." – Oder: "Am 17.6.1953 zeigte der ehemalige Betriebsleiter Grattenauer ein feindliches Verhalten gegenüber der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik und gegenüber der Belegschaft des VEG Wengelsdorf." (3) Die letztzitierte Zeugenaussage stammt vom 22. September 1953, da ist Adolf Grattenauer schon verhaftet (in der Nacht zum 1.9.) und seines Amtes enthoben worden.

Dass er nach wie vor starken Rückhalt in der Belegschaft der Gutes hatte, bezeugt die Gerichtsakte, in der es heißt: "Wenn die Zeugen auch offensichtlich versuchten, den Angeklagten zu entlasten und erst nach mehrmaligen Ermahnungen des Gerichts sich bequemten, objektive Aussagen zu machen, bestätigten sie doch die vom Angeklagten im Sachverhalt aufgeführten, geführten provokatorischen Reden." (4) Ruth Grattenauer dazu: "Im Prozess stimmte dann ihre Zeugenaussage nicht mit dem unterschriebenen Beweismaterial überein, und der erste Zeuge wurde gleich mit Strafe bedroht und musste sich auf die Strafbank setzen. Dieses diente als Abschreckung für die nachfolgenden Zeugen. Sie taten mir aufrichtig leid." (5)

Das Urteil wird am 6. November verkündet, es lautet auf dreieinhalb Jahre Zuchthaus. In der Urteilsbegründung heißt es: "Wenn der Senat bei der Strafzumessung unter dem Antrage der Staatsanwaltschaft des Bezirkes geblieben ist, die eine Zuchthausstrafe von vier Jahren beantragte, so aus dem Grunde, weil der Angeklagte beachtliche Arbeitsleistungen zeigte und sich vor dem 17.6.1953 für den Aufbau unserer Landwirtschaft tatkräftig eingesetzt hatte, und zwar im Rahmen seines Arbeitsgebietes, auf dem volkseigenen Gut." (6)

Adolf Grattenauer verbüßt seine Strafe im Zuchthaus Coswig, erkrankt an einer akuten Blinddarmreizung und stirbt wegen unterlassener ärztlicher Hilfeleistung am 13. September 1955. Der Mitgefangene Heinz Hildebrandt erinnert sich: "Adolf Grattenauer klagte Ende August 1955 über kolikartige Bauchschmerzen im Oberbauch. Er meldete das mehrere Tage lang jeden Morgen bei der Zellendurchsicht dem Wachpersonal. Seine Klagen wurden nicht beachtet. Nach etwa drei bis vier Tagen, es müsste die Zeit um den 3. September 1955 gewesen sein, steigerten sich die Schmerzen bei Grattenauer ins Unerträgliche, so dass er sich krümmte, den Oberbauch hielt, laut schrie und später nur noch wimmerte.

Nach mehrmaligem Klopfen an der Zellentür durch uns Mitgefangene öffnete der 'Schließer'. Unser Anliegen wegen des Adolf Grattenauer beantwortete er: 'Der soll sich nicht so haben'; und 'der simuliert'. Nach einiger Zeit verlor A. Grattenauer das Bewußtsein. Erst daraufhin, nachdem wir erneut den 'Schließer' gerufen hatten, wurde A. Grattenauer von mir und zwei anderen Kameraden in den Sanitätsbereich gebracht." (7)

Im Haftkrankenhaus Klein-Meusdorf wird der Blinddarm-Durchbruch festgestellt, die unternommenen medizinischen Bemühungen kommen zu spät. (8) Adolf Grattenauer wird am 24. Februar 1992 rehabilitiert.

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1 Zit. nach: Wahl, Die Ereignisse um den 17. Juni 1953 im Bezirk Halle, S. 179 ff.
2 Zit. nach: Wahl, Die Ereignisse um den 17. Juni 1953 im Bezirk Halle, S. 182.
3 BStU, Ast. Halle, AU 146/53, Bd. 1.
5 BStU, Ast. Halle, AU 146/53, Bd. 2, Bl. 105 (Urteil).
6 BStU, Ast. Halle, AU 146/53, Bd. 2, Bl. 106 (Urteil).
7 Zit. nach: Wahl, Die Ereignisse um den 17. Juni 1953 im Bezirk Halle, S. 186 ff.
8 Bestattet wurde Adolf Grattenauer auf dem Friedhof in Wengelsdorf. Das Grab ist nicht mehr vorhanden.


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