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Ernst Grobe
14.4.1904 – 21.6.1953
gest. in der Sowjetischen Kommandantur in Schönebeck/Elbe
Ernst Grobe wird am 14. April 1904 als Sohn eines Landwirts in Brumby geboren, er übernimmt den väterlichen Hof, den er zusammen mit seiner Frau Anna, seinem Sohn Wilhelm und dessen Frau Brigitte bewirtschaftet. Durch eine Schussverletzung ist Ernst Grobe schwerbeschädigt. Die Grobes sind tüchtige Landwirte, sie erfüllen und übererfüllen ihr staatlich verordnetes Abgabesoll. (1)
Am 17. Juni 1953 versammeln sich die meisten Dorfbewohner gegen 18.00 Uhr vor dem Gemeindebüro in Brumby; man hat von den Demonstrationen in den großen Städten und im Umland (Calbe, Kreis Schönebeck) gehört und berät, was zu tun sei. Einzelne Gruppen beginnen, Transparente von den Mauern des Gemeindehauses, des Kulturhauses und der Schule abzureißen. Sie werfen Bilder von Grotewohl und Ulbricht aus den Fenstern und verbrennen sie unter dem Beifall der Umstehenden auf dem Platz vor der Gaststätte "Weintraube".
Wilhelm Grobe hat anderes im Sinn. Seit einiger Zeit geht im Dorf das Gerücht, es gäbe eine Schwarze Liste mit den noch verbliebenen selbständig wirtschaftenden Bauern, die demnächst enteignet werden sollen. Zusammen mit sieben anderen betroffenen Landwirten wird er beim Bürgermeister vorstellig und verlangt dazu eine klare Auskunft. Wahrscheinlich ist auch sein Vater Ernst dabei. Der Bürgermeister behauptet, es gäbe keine solche Liste und er wisse nicht, wovon die Rede sei. Die Demonstranten wenden sich nun der Behausung eines führenden SED-Funktionärs zu, um diesen zur Rede zu stellen. Er hat allerdings vorsorglich seine Wohnung verlassen. Die Gegenstände und Möbel enteigneter Bauern, die man dort vorfindet, werden ausgeräumt und im Saal des Gasthofs "Adler" untergestellt.
Unterdessen trifft ein Mannschaftswagen der VP ein, die Volkspolizisten sitzen ab, stürmen die von Dorfbewohnern besetzte Gemeindeverwaltung, werden darin jedoch unfreundlich empfangen: man entwaffnet sie, reißt ihnen die Schulterstücke ab und jagt sie fort. Dessen ansichtig, braust der im Wagen verbliebene Fahrer in Panik davon, die Polizisten laufen ihm einzeln, ohne Mützen und Waffen in Richtung Ortsausgang hinterher. Wenig später kommt jemand eilig ins Dorf geradelt: "Die Russen kommen!", ruft er – da sind sie schon, und mit ihnen die versprengte Volkspolizei: Vollbesetzte Wagen der Roten Armee rollen ein, Warnschüsse fallen, jemand wird am Bein getroffen. Die Dorfbewohner flüchten, werden relativ wahllos von den Russen aufgegriffen, zum Teil noch im Gemeindebüro von Zivilbeamten der Staatssicherheit verhört und schließlich auf offenen Lastwagen abtransportiert. (2)
Ernst Grobe wird Rädelsführerschaft vorgeworfen, er wird in der sowjetischen Kommandantur in Schönebeck verhört.
Die Praxis sowjetischer Verhöre aus dieser Zeit ist hinlänglich dokumentiert. Vielleicht wird ihm auch vor dem Hintergrund der in Magdeburg erfolgten Hinrichtungen mit der Todesstrafe gedroht. Am vierten Tag der Einvernahme, dem 21. Juni, findet man ihn erhängt in seiner Zelle. Es gibt keinen Obduktionsbericht. Die Russen übergeben ihn der deutschen Polizei, die es vorzieht, den Toten anonym zu verscharren.
Ein "Polit-Stellvertreter" der VP nimmt dazu Stellung: "Auf Grund der zu erwartenden hohen Strafe bei diesem Verbrechen zog es Grobe vor, seinem Leben durch Erhängen ein Ende zu bereiten. Dies führte er in den Nachmittagsstunden des 21.6.1953 in der sowjetischen Kreismilitärkommandantur in Schönebeck durch. (...) Nach Rücksprache mit dem 1. Kreissekretär der SED und dem sowjetischen Kreiskommandanten erschien es ratsam, die Leiche nach Magdeburg und nicht nach Brumby zur Beerdigung zu bringen. Weshalb? 1. es bestand Ausnahmezustand; 2. es schwebten noch Ermittlungsverfahren in Brumby; 3. aus der gegebenen Situation heraus. Deshalb wurde die Leiche nach Magdeburg transportiert und auf dem Westfriedhof als unbekannte Leiche bestattet. Unter der Grabnummer Ra IX Nr. 730 ist Grobe am 23.6.53 um 15.30 Uhr beerdigt. Die Familie des Grobe wurde am 4.8.53 durch VP-Rat B. persönlich in Kenntnis gesetzt, ebenfalls wurde mit der Bestattungsverwaltung des Westfriedhofs in Magdeburg persönliche Rücksprache geführt, wo auch der Name des Grobe in [zwei Worte unleserlich], worin die Leiche als unbekannt stand, eingetragen wurde. Unterzeichneter vertritt den Standpunkt, dass seine Handlungsweise im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gelegen hat." (3)
Auch Ernst Grobes Sohn Wilhelm ist verhaftet worden, er war an der Entwaffnung der Polizei beteiligt; dass er das Schloss eines erbeuteten Karabiners in die Jauche geworfen hat, wird ihm besonders zur Last gelegt. Die Frauen stehen jetzt mit der Landwirtschaft allein da, ein Freund der Familie hilft ihnen bei den Pferden.
Als die Familie von der anonymen Beerdigung in Magdeburg erfährt, betreibt sie sofort die Überführung des Toten nach Brumby, wo Ernst Grobe am 13. August um 15.00 Uhr unter großer Anteilnahme des Dorfes beigesetzt wird. Vier Angehörige der Freiwilligen Feuerwehr in Uniform tragen den Sarg.
Der Sohn ist inzwischen zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt worden und noch in Haft. In seinem Prozess wurde gegen weitere sieben Einwohner von Brumby verhandelt. Er wird seinem Vater nicht die letzte Ehre erweisen können.
Aber vier Volkspolizisten und ein MfS-Mitarbeiter nehmen an der Trauerfeier teil, einer von ihnen hat in seinem Bericht interessante Details überliefert: "Insgesamt waren etwa 120 Trauergäste anwesend, dazu kommen noch Zuschauer mit einer Zahl von ca. 70-80 Personen." Von der Rede des Pastors Krupke wird ausführlich berichtet, denn die konnte seinen staatsbediensteten Zuhörern nicht gefallen. Er habe zum Ausdruck gebracht, "dass der Verstorbene durch Schläge und Mißhandlungen ums Leben gekommen" sei und "dass im Moment zwei Mächte miteinander ringen, dass aber die Macht Gottes größer ist und über die Macht des Teufels Sieger bleiben wird. Die augenblickliche Macht wird doch einmal abtreten müssen." Auch unter den Dorfbewohnern halte sich das Gerücht, Grobe sei erschlagen oder erschossen worden. (4)
Die Schwiegertochter erinnert sich, dass sie selbst bei der Beerdigung geweint hat, die "Stasi stand drum herum und hat gelacht". (5)
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Schreiben von Brigitte Grobe an den Bezirksstaatsanwalt vom Juli 1953 mit der Bitte um Entlassung ihres Mannes Wilhelm Grobe, in: BStU, Ast. Magdeburg, I 765/53, Bl. 93.
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Helmut Köhlitz, in: Anna Haertel, Die Ereignisse um den 17. Juni 1953 im Bezirk Magdeburg, Reihe "Sachbeiträge" der Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in Sachsen-Anhalt, Magdeburg, 2003, S. 105 f. –Weitere Informationen zum Einsatz der Volkspolizisten und der russischen Truppen im Bericht des VP-Meisters W. vom 20.6.1953 über den Einsatz in Brumby, in: BStU, Ast. Magdeburg, I 765/53, Bl. 16/17.
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3 |
Brief des VPKA Schönebeck, Polit-Abteilung, vom 10.8.1953 an die BDVP Magdeburg, Polit-Abteilung, in: LHASA, Abt. Magdeburg, Rep. M 24, BDVP Magdeburg 1952-60, Nr. 181, Blatt 110.
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4 |
Bericht des VPKA Schönebeck, Abt. K, vom 14.8.1953 über die Beerdigung des Ernst Grobe an die Amtsleitung des VPKA Schönebeck, in: LHASA, Abt. Magdeburg, Rep. M 24, BDVP Magdeburg 1952-60, Nr. 181, Bl. 111 f.
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5 |
Telefongespräch von Edda Ahrberg mit Brigitte Grobe, der Frau von Wilhelm Grobe, am 11.12.2003.
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