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Margot Hirsch
30.12.1933 - 18.6.1953
gest. um 19.15 Uhr in Halle auf dem Weg in die Klinik
Margot Hirsch wird am 30. Dezember 1933 in Breslau geboren; im Juni 1953 arbeitet sie als Verkäuferin in der Stoffabteilung des HO-Warenhauses am Markt. Sie ist frisch verheiratet (4. April 1953) mit dem Obstplantagenbesitzer Wilfried Hirsch aus Reideburg. Ihre Kolleginnen beschreiben sie als ausgesprochen lebenslustig und beliebt. Am 18. Juni nach Feierabend will sie sich mit ihrem Mann treffen, doch auf dem Markt wird auch am Tag nach dem großen Aufstand geschossen, und der Abteilungsleiter verbietet den Verkäuferinnen, das Warenhaus zu verlassen. Eine damalige Kollegin und Freundin berichtet, dass Margot Hirsch darum gebeten habe, das Haus verlassen zu dürfen, weil ihr Mann sie abholen wolle. Ausdrücklich auf eigene Verantwortung sei es ihr gestattet worden. (1) Kurz darauf wird sie an der Haltestelle der Straßenbahn von einer Kugel getroffen, die Brust und Herz durchbohrt, ihr Mann wird durch einen Querschläger an der Hand verletzt.
Ein Unfall? Am 18. Juni ziehen seit dem frühen Morgen mit Gewehren bewaffnete Polizeigruppen durch die Innenstadt, um größere Menschenansammlungen zu verhindern. Nach 16.00 Uhr kommen streikende Arbeiter aus den Betrieben auf den Markt, wo sie von Passanten mit Fragen nach der Lage der Dinge bedrängt werden. Der Markt wird zum Forum. Immer mehr Zuhörer versammeln sich um die Arbeiter, die wachsenden Gruppen diskutierender Hallenser ignorieren die Aufforderungen der Polizei, auseinander zu gehen.
Als gegen 18.00 Uhr an die tausend Menschen auf dem Markt versammelt sind, wird die Polizeiführung nervös, nun werden bewaffnete Einheiten der Kasernierten Volkspolizei und sowjetische Soldaten zum Markt beordert, die gegen 18.30 Uhr beginnen, den Platz gewaltsam zu räumen. Eine Augenzeugin berichtet: "Ich war am 18. Juni auf dem Markt und wartete auf die Straßenbahn. Am Roten Turm stand ein Russenpanzer und ringsherum war die Vopo aufmarschiert. Ohne Vorwarnung schossen sie mehrere Salven in die Menschenmenge." (2) Als geschossen wird, fliehen die Versammelten nach allen Richtungen. Margot Hirsch wird in einem nahen Schuhgeschäft in Sicherheit gebracht, stirbt aber auf dem Weg zur Klinik an ihren schweren Verletzungen. In einem Polizeibericht liest sich der Vorfall so: "Nach der Räumung des Marktplatzes in Halle, bei denen die anwesenden Menschen in die Nebenstraßen abgedrängt wurden, kam es zu einem Waffengebrauch durch die KVP. Eine Frau erhielt einen Lungenschuss, während bei ihrem Ehemann die Hand durchschossen wurde." Und an anderer Stelle: "Der Ehemann macht die Provokateure für den Tod seiner Frau verantwortlich". (3)
Für die Beerdigung von Margot Hirsch am Vormittag des 24. Juni auf dem Reideburger Friedhof (4) wird ein besonderer polizeilicher Einsatzplan erarbeitet, der heute gewiss komisch anmuten würde, wenn der Anlass nicht so traurig wäre: Ab 7.00 Uhr sollen zehn Polizisten in Zivil die Sicherung des Friedhofs und der anliegenden Straßen übernehmen, zehn weitere mit Karabinern bewaffnete Uniformierte sollen als Reserve im Holzschuppen der BHG (Bäuerliche Handelsgenossenschaft) ausharren, ein Kradfahrer soll sich als Melder in Friedhofnähe bereithalten. (5) Trotz des unübersehbaren Polizeiaufgebotes wagen sich - nach dem Bericht von Irma Hirsch, einer Schwägerin der Toten - viele Menschen auf den Friedhof, auch Kolleginnen aus dem HO-Warenhaus und dem Schuhgeschäft, in das sie schwer verletzt gebracht wurde. Auch die FDJ hatte einen Redner geschickt, aus seiner Rede ist nur der eine Satz überliefert: "Margot, wir versprechen dir, dass dir das nicht wieder passieren wird". (6)
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1 |
Die Freundin im Gespräch mit Edda Ahrberg am 17.12.2003. |
2 |
Aus dem Erlebnisbericht von J. Schötschel, zit. nach: Löhn: "Spitzbart, Bauch und Brille", S. 179. |
3 |
LHASA, Abt. Merseburg, BDVP Halle REP, 19, Nr. 73, Bl. 195 und Vorschlag zur Beisetzung … , 22.6.1953. |
4 |
Bestattet wird Margot Hirsch am 24.6.1953 um 9.00 Uhr auf dem Friedhof in Reideburg. |
5 |
LHASA, Abt. Merseburg, BdVP Halle 19, Nr. 314, Bl. 129. |
6 |
So Eva Brünicke, die Tochter von Superintendent Brünicke, der Margot Hirsch beerdigt hat, in einem Telefongespräch mit Edda Ahrberg am 5.1.2004. |
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