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Oskar Jurke
20.9.1895 - 6.7.1953
gest. in den Mittagsstunden in einem Gefangenentransporter in Dresden
Oskar Jurke wird am 20. September 1895 in Sohra (Kreis Görlitz) geboren, nach acht Volksschuljahren arbeitet er bis zu seiner Einberufung 1914 als Landarbeiter in Sohra, Alt-Bernsdorf und Zodel. 1918 gerät er in französische Gefangenschaft, aus der er 1920 entlassen wird. Er heiratet und arbeitet wieder in der Landwirtschaft, aber auch in einem Säge- und einem Kalkwerk im Görlitzer Umkreis, zuletzt in der Maschinenfabrik von Penzig, das nach dem Krieg zu Polen gehören wird. Anfang 1945 flieht er vor den anrückenden sowjetischen Truppen; in Melaune wird er noch zum Volkssturm gezogen, flüchtet nach Rumburg, wird auch von dort vertrieben, weil die Stadt nach Kriegsende zur Tschechoslowakei gehört. Aus dem Umkreis von Görlitz ist ein magerer Halbkreis geworden, in einem Dreiländereck. Der kinderlose Witwer zieht sich nach Zodel zurück und verdingt sich dort bei einer Baufirma und beim Evangelischen Pfarramt als Friedhofswärter. (1)
Am 17. Juni 1953 arbeitet er von 7.00 Uhr bis 17.30 Uhr auf seinem Friedhof und läutet pünktlich um 18.00 Uhr den Feierabend ein. Auf dem Heimweg sieht er vor dem Gasthof Kindler eine Menschenmenge, das ganze Dorf ist auf den Beinen. Auf seine Frage, was denn los sei, erfährt er, dass dies eine Demonstration sei und man den Bürgermeister stürzen wolle. Als der erscheint, werden ihm Vorhaltungen gemacht: Er sei Schuld, dass die Bauern von ihrer Scholle vertrieben würden oder in die LPG gezwungen. Jemandem, der gegen die Anwerbungen zur Volkspolizei aufgetreten ist, sei der Prozess gemacht worden. Auch das und manches andere wird dem Bürgermeister jetzt vorgeworfen. Er wird beschimpft und bedroht. Oskar Jurke hält ihm einen Strafbescheid über eine Deutsche Mark unter die Nase, den er vom Gemeindeamt wegen "Nichtbetafelung des Kartoffelfeldes" (Aufruf zur Kartoffelkäferaktion) erhalten hat. Dabei, so sagt er später aus, habe ihn jemand am Ellbogen geschubst und der Bürgermeister einen Nasenstüber abbekommen. Wie dem auch sei: Der Friedhofswärter wird als erster handgreiflich; die Dorfrevolte von Zodel nimmt nun ihren Lauf.
Der Bürgermeister wird gezwungen, mitzugehen zur Schule, auch die Pionierleiterin muss mit - die Kollegen Lehrer folgen freiwillig, was ihnen später angekreidet wird. Dann geht es zur LPG, deren Vorsitzender wegen Inkompetenz verhasst ist. Mit dem heruntergerissenen roten Tuch von Fahnen und Transparenten bindet man den Bürgermeister mit dem Vorsitzenden der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft (DSF) und den Schuldirektor mit dem LPG-Vorsitzenden am Hals zusammen. Als jemand verkündet, das rote Zeug müsse brennen und sein Feuerzeug zückt, greift Oskar Jurke schlichtend ein. Der Zug führt durchs Oberdorf zurück ins Niederdorf und endet wieder vor dem Gasthof Kindler. Hier dankt der Bürgermeister ab, und man wählt einen neuen Gemeinderat. Wegen des Ausnahmezustandes begibt man sich gegen 21.00 Uhr nach Hause. So auch Oskar Jurke. Gegen 22.30 Uhr wird an sein Fenster geklopft, jemand verlangt nach dem Feuerhorn und will Alarm blasen, weil die Polizei umginge und Leute aus den Betten heraus verhafte. Jurke händigt das Horn aus, und begibt sich seinerseits zur Kirche, um die Glocke zu läuten; so hatten es die aufständischen Zodeler als Zeichen vereinbart.
Kurz nach Mitternacht wird er selbst verhaftet. Man bringt ihn nach Görlitz ins Gefängnis, in der dortigen Kreisdienststelle des MfS wird er vernommen. Anfang Juli erhebt der Bezirksstaatsanwalt Anklage gegen ihn wegen "Gefährdung der Ordnung und Sicherheit unseres demokratischen Staates", zu seinem Prozess soll der Angeklagte nach Dresden überführt werden. (2) Vor dem Abtransport werden Oskar Jurke und mehrere Mitgefangene starken Belastungen ausgesetzt. So berichtete einer der verhafteten Führer des Aufstandes von Zodel später, auf dem Hof des Görlitzer Gefängnisses hätten sie mehrere Stunden in Erwartung ihrer Hinrichtung gestanden. Dann sei ihnen mitgeteilt worden, sie würden in eine Sandgrube bei Lauban (heute Luban) transportiert und dort erschossen. Danach hätten ihre Bewacher erklärt, sie würden nunmehr zur Hinrichtung nach Dresden gebracht. (3)
Am 6. Juli 1953, einem heißen Tag, gegen 10.00 Uhr fährt der Transporter mit zehn Gefangenen von Görlitz ab. Weil der Tank im oberen Bereich leck ist und deshalb nur halb gefüllt werden kann, der Fahrer aber keine Benzinmarken zum Nachtanken bekommen hat, nimmt er zwei Zwanzigliterkanister Sprit im Gefangenentransportraum mit. (4) Die Kanister sind undicht und gasen so stark, dass der Wachpolizist auf der dreistündigen Fahrt heftige Kopfschmerzen bekommt und nicht wagt, sich eine Zigarette anzuzünden. Die Lüftungsschlitze der Zellen sind sehr schmal, und wenn der Wagen bei laufendem Motor steht, können Abgase eindringen. Gegen 13.00 Uhr trifft der Transport in Dresden ein, außer Oskar Jurke, der noch weiter transportiert werden soll, verlassen die erschöpften Gefangenen den Wagen. Etwa eine Stunde später wird der Zurückgelassene leblos in seiner engen Transportzelle aufgefunden; die Obduktion erweist einen tödlichen CO-Gehalt des Blutes und Eindrücke der Haut, die offenbar von einer Fesselung herrühren. (5) Die Polizeiberichte nennen dies einen Unfall.
Sein Leichnam wird in Dresden eingeäschert, die Urne in Zodel beigesetzt, auf "seinem" Friedhof, wo er sich schon eine Grabstelle gekauft hatte.
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1 |
Telefonat von Erich Sobeslavsky mit Manfred Goldberg, 12.1.2004. - Die folgenden Ausführungen stützen sich auf eine Materialzusammenstellung von Erich Sobeslavsky. |
2 |
Vgl. BStU, Ast. Dresden, 346/53, STA, Strafs., Bl. 23. |
3 |
Telefonat von Erich Sobeslavsky mit Manfred Goldberg, 12.1.2004. Manfred Goldberg machte diese Angaben auf der Grundlage der Berichte von Mithäftlingen von Oskar Jurke. |
4 |
Vgl. dazu und zum folgenden: VPKA Görlitz, Verantwortliche Vernehmung von Gerhard Willi P., Görlitz, 10.7.1953, in: BStU, Ast. Dresden, 346/53, STA, Strafs., Bl. 42/43. |
5 |
Vgl. das Obduktionsprotokoll, in: BStU, Ast. Dresden, 346/53, STA, Strafs., Bl. 58. |
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