HOME CHRONIK KARTE MATERIAL FORUM VERANSTALTUNGEN
Tote des 17. Juni 1953
Jahrestag 2003
Newsletter abonieren
zurueck zur Hauptseite
Ausfuehrliche Suche

Johannes Köhler

Johannes Köhler 5.8.1908 - 18.6.1953
gest. um 4.40 Uhr in der Universitätsklinik Leipzig


Johannes Köhler wird am 5. August 1908 als Sohn eines Fleischermeisters in Zeitz geboren. Er erlernt den Uhrmacherberuf und übt ihn aus, bis er zur Wehrmacht eingezogen wird. Das Ende des Krieges erlebt er in Gefangenschaft. Seine in den 30er Jahren geschlossene Ehe wird nach dem Krieg geschieden. Nach Leipzig zurückgekehrt, leistet er "Trümmerarbeit" in Leipzig-Leutzsch.

Am 17. Juni 1953 ist er dort als Expedient beschäftigt. Nach Feierabend kommt er mit der Straßenbahn von Leutzsch am Leipziger Hauptbahnhof an. Um zu seiner Wohnung zu gelangen, muss er hier umsteigen. In der Nähe des Bahnhofs, am Dittrichring, gibt es trotz des seit 16.00 Uhr verhängten Ausnahmezustandes noch Demonstrationen.

Was Johannes Köhler von nun an getan hat, liegt im Dunkeln. Eine Nichte des Toten beschreibt ihn als stillen, ruhigen, sehr intelligenten Menschen. Auf keinen Fall hätte sich Johannes Köhler politisch engagiert. Sie sagt, er sei am Hauptbahnhof zufällig von Warnschüssen der Russen getroffen worden. (1) Dies entspricht auch der Auskunft, die der Vater im Krankenhaus erhielt. (2) Den Polizeiberichten zufolge nimmt er am Versuch von Demonstranten teil, die "Runde Ecke" (Gebäude der Volkspolizei und der Staatssicherheit am Dittrichring) zu stürmen. (3) "Gegen 18.00 Uhr unternahmen Demonstranten am Dittrichring einen Angriff auf die Garage des Gebäudekomplexes von Staatssicherheit und Volkspolizei. Ohne Zögern machten hier die Sicherheitskräfte von der Schusswaffe Gebrauch. Dabei erlitt der 44jährige Johannes Köhler aus Leipzig einen lebensgefährlichen Bauchschuss." (4)

Noch in der Nacht zum 18. Juni stirbt Johannes Köhler in der Leipziger Universitätsklinik an den Folgen dieser Schussverletzung. Dass Johannes Köhler beim Umsteigen am Hauptbahnhof getroffen wurde, erscheint zumindest zweifelhaft; die "Runde Ecke" ist einige hundert Meter entfernt. Auch gibt es keinerlei Hinweise auf den Einsatz von Schusswaffen in diesem Bereich.

Erst am 18. Juni erfährt der Vater in der Universitätsklinik vom Tod des Sohnes und wird bei der Volkspolizei vorstellig, um den Leichnam bestatten zu lassen. Vergeblich. Während des Ausnahmezustandes sollen keine Trauerfeiern stattfinden. Der Tote wird am 20. Juni zwischen 2.15 Uhr und 7.30 Uhr gemeinsam mit anderen Opfern im Krematorium auf dem Leipziger Südfriedhof eingeäschert. "Die Urnen wurden zeitweilig sichergestellt." (5) Erst am 15. Juli, vier Tage nach Aufhebung des Kriegsrechtes in Leipzig, gibt der Staatsanwalt die Urne zur Bestattung frei. (6)

Johannes Köhler wird am 22. August um 8.30 Uhr auf dem Friedhof Leipzig-Sellershausen im Grab der bereits 1946 verstorbenen Mutter beigesetzt. (7) Der mit der Überwachung der Trauerfeier beauftragte Kriminalpolizist meldet: "Anwesend 5 Personen, keine Vorkommnisse." (8) Im Zusammenhang mit dem 50. Jahrestag des Volksaufstandes wird die Urne am 26. November 2002 durch das Grünflächenamt der Stadt Leipzig in die Grab- und Gedenkanlage für die Opfer der stalinistischen Gewaltherrschaft im Urnengarten Nord auf dem Leipziger Südfriedhof umgebettet. Der Name von Johannes Köhler ist dort neben anderen Opfern seit 1994 auf einem Gedenkstein vermerkt. (9)



---
1 Gespräch mit Gisela Fuchs, der Nichte von Johannes Köhler, am 5.2.2004 (Archiv Bürgerkomitee Leipzig e.V.).
2 Aktenvermerk der BDVP Leipzig vom 18.6.1953, in: SächsStAL, BDVP 24/42, Bl. 350.
3 Bericht des Operativstabs der HVDVP "über die getöteten Personen anläßlich der Vorkommnisse am 17. und 18.6.1953" vom 18.6.1953, in: BA, DO-1/11.0/304, Bl. 156-159; Roth, Der 17. Juni 1953 in Sachsen, S. 134/135.
4 Aktenvermerk der BDVP Leipzig vom 18.6.1953 sowie Leichenschein vom 18.6.1953, in: SächsStAL, BDVP 24/42, Bl. 350/351; Roth, Der 17. Juni 1953 in Sachsen, S. 134.
5 Aktenvermerk der BDVP Leipzig vom 20.6.1953, in: SächsStAL, BDVP 24/42, Bl. 367. Im Kremationsbuch des Leipziger Südfriedhofs ist die Einäscherung um 5.00 Uhr vermerkt. Die Erfassung erfolgte allerdings erst am 22.6.1953 unter der Einäscherungsnummer 138348.
6 Aktenvermerk der BDVP Leipzig vom 15.7.1953, in: SächsStAL, BDVP 24/42, Bl. 368.
7 Ein Nutzungsrecht für die Grabstätte auf dem kommunalen Friedhof Leipzig-Sellerhausen in der IV. Abteilung, 1. Gruppe, Reihe G, besteht nicht mehr.
8 Aktenvermerk der BDVP Leipzig "Freigabe der Urnen zur Beisetzung" vom 22.8.1953, in: SächsStAL, BDVP 24/42, Bl. 371.
9 Schreiben des Grünflächenamtes Leipzig, Abt. Friedhöfe an das Bürgerkomitee Leipzig e.V. vom 2.2.2004, sowie mündliche Auskünfte. Siehe auch Kaminsky (Hg.), Orte des Erinnerns, S. 323/324.


KontaktImpressum