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Tote des 17. Juni 1953
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Paul Ochsenbauer

26.7.1937 - 17.6.1953
gest. zu unbekannter Stunde in Leipzig


Paul Ochsenbauer wird am 26. Juli 1937 in Leipzig als das älteste von vier Kindern geboren. Seine Familie war im Jahr vor seiner Geburt von Bayern nach Sachsen gezogen, wo der Vater in der neugegründeten Firma Megu (Metallguß) tätig war. Seine zwei Jahre jüngere Schwester Brigitte beschreibt die Familie als sehr harmonisch, der Vater sei nicht politisch aktiv gewesen, habe aber den Grundsatz vertreten, dass man sich seinen Namen durch Arbeit verdienen müsse. Die Kinder werden katholisch erzogen und dazu angehalten, Sport zu treiben, was den Eltern in ihrer Kindheit nicht möglich gewesen war.

Im Juni 1953 ist Paul Ochsenbauer im zweiten Lehrjahr als Schlosser beim VEB Bodenbearbeitungsgeräte beschäftigt und steht kurz vor dem Berufsabschluß. Im Oktober des Vorjahres ist er dem "Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands" beigetreten und beteiligt sich dort am Arbeitskreis für Stadtgeschichte. Er ist aktiver Schwimmer und will nach seiner Lehre eine Segelflugschule besuchen. In der FDJ und dem FDGB ist er nach Auskunft seiner Schwester weniger aus innerer Überzeugung denn aus äußeren Zwängen Mitglied gewesen. (1)

Der 15jährige Paul Ochsenbauer verlässt am 17. Juni 1953 morgens sein Elternhaus und bleibt verschwunden. Die Eltern stellen sofort Nachforschungen an, erhalten aber erst 14 Tage später, am 1. Juli, die polizeiliche Auskunft, dass ihr Sohn tot sei. Es ist von einem "tödlichen Unfall" die Rede; näheres erfahren die Eltern nicht.

Erst nach 1989, nach der Öffnung der DDR-Archive, wird deutlich, was wirklich geschehen ist. Er soll einen "Befehl abgerissen und einem sowjetischen Offizier ins Gesicht geworfen" haben. (2) Ob er daraufhin standrechtlich erschossen oder auf andere Weise getötet wurde, ließ sich bislang nicht klären.

Zusammen mit den anderen Toten des Volksaufstandes wird Paul Ochsenbauer am 20. Juni zwischen 2.15 Uhr und 7.30 Uhr auf dem Leipziger Südfriedhof eingeäschert, ohne die Angehörigen informiert, geschweige denn um Erlaubnis gefragt zu haben. (3) Erst am 15. Juli, vier Tage nach Aufhebung des Kriegsrechtes in Leipzig, gibt der Staatsanwalt die Urnen zur Bestattung frei. (4)

Die Kriminalpolizei wiederum lässt sich bis zum 4. August Zeit. So wird Paul Ochsenbauer am 14. August um 13.30 Uhr auf dem Friedhof Leipzig-Plagwitz beigesetzt. (5)

Der mit der Überwachung der Trauerfeier beauftragte Kriminalpolizist meldet: "Anwesend 12 Personen, keine Vorkommnisse." (6) Die Familie wird weiter beobachtet. In einer streng vertraulichen polizeilichen Anweisung wird gefordert, die Angehörigen derjenigen, die "anlässlich des Tages X zu Schaden kamen", zwischen dem 16. und 18. Juni 1954 und während der "Volkswahlen" unter besondere Beobachtung zu stellen. (7) Auf die Verwandten von Paul Ochsenbauer sei besonders zu achten, "da diese zu damaliger Zeit sehr aggressiv in Erscheinung traten". (8)

In der Tat gibt es Nachwirkungen bei den Geschädigten, aber andere, als die Polizei vermutet. Pauls Schwester berichtet, dass ihre Eltern den Verlust nie verkraftet hätten und die Angst vor den "Organen" auch bei der nächsten Generation Wirkung gezeigt habe. Die Ereignisse des 17. Juni sind in der Familie über die Jahrzehnte ein Thema geblieben; eine Großnichte Paul Ochsenbauers hat vor einigen Jahren eine größere Schularbeit über jenen Verwandten geschrieben, der in etwa ihrem Alter sterben musste. In der Grab- und Gedenkanlage für die Opfer der stalinistischen Gewaltherrschaft im Urnengarten Nord auf dem Leipziger Südfriedhof ist der Name von Paul Ochsenbauer seit 1994 gemeinsam mit den weiteren Opfern auf einem Gedenkstein vermerkt. (9)


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1 Gespräch mit Brigitte Dienst, der Schwester von Paul Ochsenbauer, am 2.2.2004 (Archiv Bürgerkomitee Leipzig e.V.).
2 Auflistung der BVfS Leipzig vom 18.3.1953, in: BStU, Ast. Leipzig, Leitung, 00243, Bl. 13; Aktennotiz der BDVP Leipzig, Abteilung K, AK/MUK vom 6.7.1953, in: Sächs-StAL, BDVP 24/42, Bl. 376.
3 Aktenvermerk der BDVP Leipzig vom 20.6.1953, in: SächsStAL, BDVP 24/42, Bl. 367. Im Kremationsbuch des Leipziger Südfriedhofs ist die Einäscherung um 05.00 Uhr vermerkt. Die Erfassung erfolgte allerdings erst am 11.8.1953 unter der Einäscherungsnummer 138905.
4 Aktenvermerk der BDVP Leipzig vom 15.7.1953, in: SächsStAL, BDVP 24/42, Bl. 368.
5 Ein Nutzungsrecht für die Grabstätte auf dem kirchlichen Friedhof Leipzig-Plagwitz in der I. Abteilung, Gruppe A, Nr. 204, besteht nicht mehr. Sie wurde zwischenzeitlich neu vergeben.
6 Aktenvermerk der BDVP Leipzig "Freigabe der Urnen zur Beisetzung" vom 22.8.1953, in: SächsStAL, BDVP 24/42, Bl. 371. Vgl. auch den Grabschein (Privatarchiv).
7 Roth, Der 17. Juni 1953 in Sachsen, S. 182.
8 Schreiben der Leitung der Abteilung K der BDVP Leipzig über "Personen, die durch die Ereignisse des 17.6.53 beigesetzt wurden" an das VPKA Leipzig vom 15.6.1954, in: Sächs-StAL, BDVP 24/42, Bl. 378.
9 Schreiben des Grünflächenamtes Leipzig, Abt. Friedhöfe, an das Bürgerkomitee Leipzig e.V. vom 2.2.2004, sowie mündliche Auskünfte. - Siehe auch: Kaminsky, Orte des Erinnerns, S. 323/324.


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