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Dieter Teich
24.4.1934 - 17.6.1953
gest. um 15.00 Uhr in Leipzig vor der MfS-Untersuchungshaftanstalt
Dieter Teich wird am 24. April 1934 als Sohn eines Lokomotivführers in Leipzig geboren. Er besucht die Grund- und Mittelschule in Wiederitzsch und lernt anschließend den Beruf eines Gießereifacharbeiters. Der Freien Deutschen Jugend (FDJ) tritt er nicht bei. In seiner Freizeit sammelt er Briefmarken. Von November 1952 bis Ende Mai 1953 ist er bei den Leipziger Verkehrsbetrieben als Erdarbeiter in der Abteilung Stromversorgung beschäftigt. Danach wechselt er zum VEB Mitteldeutscher Feuerungsbau in Holzhausen.
Am 17. Juni streikt auch sein Betrieb. Dieter Teich zieht vermutlich mit seinen Kollegen gemeinsam in die Stadt. Seit den Mittagsstunden fordern die Demonstranten vor der Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit in der Beethovenstraße die Freilassung der Gefangenen. Als die Forderung der Demonstranten, eine Abordnung in das Gebäude einzulassen, nicht erfüllt wird, beginnt die aufgebrachte Menge den Gebäudekomplex zu stürmen. Gegen 14.00 Uhr fahren sowjetische LKW vor, Soldaten geben Warnschüsse ab, ziehen sich jedoch dann wieder zurück. Davon ermutigt, setzen die Demonstranten den Sturm auf die Haftanstalt fort. Volkspolizisten und Stasi-Offiziere feuern gegen 15.00 Uhr in die vordrängende Menge. Einige Demonstranten werden verletzt, der gerade 19jährige Dieter Teich tödlich getroffen. Dieter Teich ist der erste Tote des Volksaufstandes in Leipzig, noch vor Verhängung des Kriegsrechtes.
Vielleicht sind die am Einsatz beteiligten Polizisten von der Wirkung ihrer ersten tödlichen Schüsse selbst überrascht, jedenfalls überlassen sie den Toten zunächst den Demonstranten, die ihn auf eine Trage betten und ihn feierlich durch die Stadt tragen. Die Träger wechseln mehrfach, auch zunächst unbeteiligte Passanten gehen an der Bahre mit. Dieter Teich wird mit Blumen überhäuft. Es ist eine alle Beteiligte bewegende Demonstration. (1)
Die Kunde vom ersten Todesopfer des Aufstandes verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Rufe wie "Arbeitermörder" oder die Aufschrift an einer Straßenbahn "Vopo schießt auf deutsche Arbeiter" klagen die Schuldigen an. Die Einsatzleitung der Polizei interpretiert das Geschehen auf ihre Weise und setzt um Mitternacht eine Spitzenmeldung nach Berlin ab, in der es heißt: "Auf dem Wege bis zum Hauptbahnhof wurden unter provozierenden Rufen gegen die Volkspolizei Blumen auf den Toten geworfen." (2) Am Hauptbahnhof wird der Leichnam unter Androhung von Waffengewalt gegen 17.00 Uhr beschlagnahmt. Mehrere Träger der Bahre werden verhaftet. (3)
Anfangs gilt Dieter Teich als "unbekannter Toter". Ein Arzt stellt noch auf dem Bahnhof einen Totenschein aus. Als Todesursache wird "Brustdurchschuss (Herzschuss)" angegeben. Auf dem Totenschein sind sechs Zeugen angegeben. Ein Beerdigungsinstitut übernimmt den Leichnam und bringt ihn in die Gerichtsmedizin zur Identifizierung. (4)
Zusammen mit den anderen Toten dieses Tages wird Dieter Teich am 20. Juni zwischen 2.15 Uhr und 7.30 Uhr auf dem Leipziger Südfriedhof eingeäschert; die Angehörigen werden weder informiert noch um Erlaubnis gebeten. (5) Erst am 15. Juli, vier Tage nach Aufhebung des Kriegsrechtes in Leipzig, gibt der Staatsanwalt die Urne zur Bestattung frei. (6) Die Kriminalpolizei wiederum läßt sich bis zum 4. August Zeit. So wird Dieter Teich erst am 17. August um 11.15 Uhr auf dem Leipziger Nordfriedhof beigesetzt. (7) Der mit der Überwachung der Trauerfeier beauftragte Kriminalpolizist meldet: "Anwesend 10 Personen, keine Vorkommnisse." (8) Siegfried Teich, Dieters jüngster Bruder, erinnert sich noch heute an die Gestalten zwischen den Gräbern, die die kleine Feier observieren. Mehrmals wird die Familie Teich von Mitarbeitern der Staatssicherheit aufgesucht und zu strengstem Stillschweigen über den Tod ihres Angehörigen und dessen Umstände vergattert. (9)
Während die SED die anderen Leipziger Todesfälle dieses Tages offiziell nie eingestand, konnte sie die Erschießung des 19jährigen Dieter Teich nachdem spektakulären Zug durch die Leipziger Innenstadt nicht verheimlichen. So war am 19. Juni auf der ersten Seite der "Leipziger Volkszeitung" zu lesen: "Als alle Mittel versagten und die faschistischen Banden unseren Volkspolizisten die Waffen zu entreißen versuchten, mußte sich unsere Volkspolizei zur Wehr setzen, und es fiel ein Angreifer als Opfer der zynischen Verbrechen der Agenten und Provokateure." (10)
In der Grab- und Gedenkanlage für die Opfer der stalinistischen Gewaltherrschaft im Urnengarten Nord auf dem Leipziger Südfriedhof ist der Name von Dieter Teich gemeinsam mit anderen Opfern seit 1994 auf einem Gedenkstein vermerkt. (11)
Anlässlich des 50. Jahrestages des Volksaufstandes beschlossen die Leipziger Stadtverordneten, die Straße, in der Dieter Teich ums Leben kam, in Straße des 17. Juni 1953 umzubenennen. Die Leipziger Verkehrsbetriebe ehrten ihren ehemaligen Mitarbeiter, in dem sie einen Stadtbahnwagen nach Dieter Teich benannten. Er findet sich nun in Gesellschaft mit Johann Sebastian Bach, Max Klinger, Richard Wagner und anderen historischen Persönlichkeiten, die mit Leipzig eng verbunden sind. (12)
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1 |
So erinnert sich etwa Lothar Scheithauer, damals Assistent am Germanistischen Institut der Karl-Marx-Universität Leipzig: "Vor dem Blumenhaus Hanisch stoppte der Zug, und die Verkäuferinnen dieses großen Blumengeschäftes holten aus dem Laden Blumen über Blumen und bedeckten damit den Leichnam. Das war ein erschütterndes und ergreifendes Bild" (Lothar Scheithauer, in: Regine Möbius, Panzer gegen die Freiheit. Zeitzeugen des 17. Juni 1953 berichten, Leipzig 2003, S. 57).
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2 |
Spitzenmeldung der Einsatzleitung der BDVP Leipzig an den HVDVP-Operativstab-Berlin, o.D. in: SächsStAL, BDVP, 24/42, Bl. 344, zit. nach: Roth, Der 17. Juni 1953 in Sachsen, S. 120.
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3 |
Vgl. Roth, Der 17. Juni 1953 in Sachsen, S. 119 ff.
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4 |
Aktenvermerk der BVfS Leipzig, in: BStU, Ast. Leipzig, Leitung 00240, Bd. 2, Bl.39; Totenschein vom 17.6.1953, in: SächsStAL, BDVP, 24/42, Bl. 341; Spitzenmeldung der BDVP Leipzig vom 17.6.1953, in: SächsStAL, BDVP, 24/42, Bl. 344.
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5 |
Aktenvermerk der BDVP Leipzig vom 20.6.1953, in: SächsStAL, BDVP 24/42, Bl. 367. Im Kremationsbuch des Leipziger Südfriedhofs ist die Einäscherung um 7.30 Uhr vermerkt. Die Erfassung erfolgte allerdings erst am 10.8.1953 unter der Einäscherungsnummer 138897.
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6 |
Aktenvermerk der BDVP Leipzig vom 15.7.1953, in: SächsStAL, BDVP 24/42, Bl. 368.
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7 |
Die Grabstätte auf dem Leipziger Nordfriedhof in der II. Abteilung, 1. Gruppe, Reihe H, Grab 9, wurde im Zuge der Rückgabe an die Stadt Leipzig von den darin befindlichen Urnen beräumt, so die Information des Leipziger Grünflächenamtes.
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8 |
Aktenvermerk der BDVP Leipzig "Freigabe der Urnen zur Beisetzung" vom 22.8.1953, BDVP 24/42, Bl. 371.
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9 |
Pressemitteilung der Leipziger Verkehrsbetriebe GmbH, 17.6.2003.
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10 |
"Die Ereignisse in Leipzig", in: Leipziger Volkszeitung, 19.6.1953, S. 1.
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11 |
Schreiben des Grünflächenamtes Leipzig, Abt. Friedhöfe an das Bürgerkomitee Leipzig e.V. vom 2.2.2004, sowie mündliche Auskünfte. Siehe auch: Annette Kaminsky (Hg.), Orte des Erinnerns. Gedenkzeichen, Gedenkstätten und Museen zur Diktatur in SBZ und DDR, Leipzig 2004, S. 323/324.
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12 |
Siehe die Presseerklärung der Leipziger Verkehrsbetriebe GmbH "Stadtbahnwagen erhielt Namen vom ersten Leipziger Opfer des Volksaufstandes", 20.6.2003.
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