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Bericht der SED-Kreisleitung Rudolstadt über Streikdrohungen im Kunstfaserwerk
"Wilhelm Pieck", 10. 1. 1953
Bei unserer heutigen Anwesenheit im Kunstfaserwerk »Wilhelm Pieck« wurde mitgeteilt, daß im Zellwollbetrieb starke Diskussionen im Gange sind und eine Reihe von Arbeitern gedroht haben, zu streiken. Der Grund dafür ist folgender:
Die Maximalkapazität für die Zellwollherstellung beträgt 70 Tonnen. Der Durchschnitt für die Produktion beträgt 64 Tonnen. Die Norm wurde auf diese 64 Tonnen festgelegt. Im vergangenen Jahre gab es erhebliche Materialschwierigkeiten, so daß die Arbeiter niemals auf ihren Lohn kamen. Nach Rück-sprache mit dem Ministerium wurde die Norm auf 55 Tonnen herabgesetzt.
Ab 1. Januar 1953 muß entsprechend dem neuen Plan die Produktion auf 64 Tonnen erhöht werden. Alle Meister, Brigadiere, Schichtmeister und AGL's wurden deshalb von der Betriebsleitung zusammenge-nommen und von dieser Tatsache in Kenntnis gesetzt. Dabei erhielten diese den Auftrag, mit ihren Kollegen darüber zu diskutieren. Die Parteileitung im Gesamtbetrieb hat nichts unter-nommen, um eine Diskussion über die Notwendigkeit der Erhöhung der Zellwoll-Produktion durchzuführen. Ebenso hat die Parteileitung im Zellwollbetrieb selbst nicht reagiert. Die von der Kreisleitung zur Vorbereitung der Parteiaktivtagung eingesetzten Instrukteure haben sofort nach Bekanntwerden der Situation im Zellwollbetrieb mit den einzelnen Kollegen diskutiert. Dabei wurde von einigen Kollegen zum Ausdruck gebracht, daß ihnen bekannt ist, daß die Norm zu niedrig festgelegt war und sie also zuviel Geld verdienten, sie aber nicht damit einverstanden sind, daß man über ihren Kopf hinweg derartige Maßnahmen durchführt. Die Kollegen stehen auf dem Standpunkt, daß man mit der Akkordschere gekommen ist und abgeschnitten hat.
[Quelle: SAPMO-BArch DY30/IV 2/5/304, Bl. 33., publiziert in: Hoffmann Dierk u.a. (Hrsg.), Die DDR vor dem Mauerbau. Dokumente zur Geschichte des anderen deutschen Staates 1949-1961, S.134-135]
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