|
Bundeskanzler Adenauer an den Geschäftsführenden Vorsitzenden der Alliierten Hohen Kommission, Conant
523-00-E-II-9/53
21. Februar 1953 (1)
Herr Hoher Kommissar,
Ich beehre mich, Ihre Unterstützung in folgender Angelegenheit zu erbitten:
Bundesminister des Innern(2) hat ernstliche Besorgnisse über die unzureichende Bewaffnung des Bundesgrenzschutzes und der Bereitschaftspolizeien der Länder geäußert. Seine Verhandlungen mit der Alliierten Hohen Kommission in dieser Frage, die seit mehr als einem Jahr geführt werden, sind ohne befriedigendes Ergebnis geblieben.
Die Umorganisation der Volkspolizei und die Verhältnisse an der Grenze gegenüber sowjetischen Besatzungszone, die der Alliierten Hohen Kommission sehr gut bekannt sind, erfordern von der Bundesrepublik im Interesse der inneren Sicherheit und der Beruhigung und des Schutzes der deutschen Grenzbevölkerung rasche und wirksame Vorkehrungen. Sie zu treffen ist die Hauptaufgabe des Bundesgrenzschutzes und der Bereitschaftspolizeien der Länder. Eine erfolgreiche Durchführung dieser Aufgabe ist diesen Verbänden jedoch nur bei entsprechend moderner Ausrüstung möglich, die sie zur Zeit in keiner Weise besitzen.
Ich bin gewiß, daß die Alliierte Hohe Kommission in dieser Auffassung mit der Bundesregierung übereinstimmt, und darf die Hoffnung aussprechen, daß sie alles tun wird, um den Herrn Bundesminister des Innern, der für die öffentliche Sicherheit der Bundesrepublik und den Schutz ihrer Grenzbezirke verantwortlich ist, in seinen Bemühungen nachdrücklich zu unterstützen, und daß sie insbesondere dem Bundesgrenzschutz den Erwerb moderner Waffen gestatten wird.
Ich beehre mich, zur näheren Schilderung der Verhältnisse und zur Klarstellung der einzelnen deutschen Wünsche eine Denkschrift beizufügen.
Die Bundesregierung wäre der Alliierten Hohen Kommission sehr zu Dank verpflichtet, wenn sie zu diesem Schreiben so bald wie möglich Stellung nehmen und den Wünschen der Bundesregierung entsprechen wollte.(3)
Genehmigen Sie, Herr Hoher Kommissar, den Ausdruck meiner ausgezeichnetsten Hochachtung
gez. Adenauer
[Anlage]
Denkschrift
In den vergangenen beiden Jahren hat die Bundesregierung bei der Alliierten Hohen Kommission und dem Militärischen Sicherheitsamt wiederholt auf die mangelhafte Bewaffnung der Exekutivkräfte des Bundes und auf die Gefahren hingewiesen, die sich hieraus bei größeren Notständen ergeben können. Die zahlreichen Vorstellungen und eingehenden Verhandlungen haben bisher zu keinem nennenswerten Ergebnis geführt. Die Bundesregierung sieht sich daher veranlaßt, nochmals die Gründe kurz zusammenzustellen, die sie zu ihren Gesuchen bewogen haben. Sie ergeben sich:
- aus der Notwendigkeit der Bekämpfung der von der KPD ausgehenden Terrormaßnahmen:
Der kommunistische Terror zeichnet sich, wie die Erfahrungen der deutschen Sicherheitsorgane in den letzten 30 Jahren ergeben haben, durch besondere Heftigkeit und Hartnäckigkeit aus. In den Jahren 1920-1932 konnten verschiedene Aufstände der Kommunisten im ehemaligen Reichsgebiet von den Polizeikräften nur unter schweren Verlusten und erst nach Einsatz schwerer Waffen erstickt werden. Inzwischen hat sich die kommunistische Kampfführung planmäßig weiterentwickelt und vervollkommnet. Viele der Elemente, auf die sie sich stützt, haben in den Partisanenkämpfen des letzten Krieges eine ausgezeichnete moderne Waffenausbildung erhalten. Vor allem aber ist die materialmäßige Versorgung gegenüber den zwanziger Jahren wesentlich besser geworden, insbesondere dank der Tatsache, daß die illegalen kommunistischen Untergrundbewegungen durch illegale Einfuhr über die Zonengrenze mit Waffen und Sprengstoffen versorgt werden. Demgegenüber befindet sich die Bundesregierung in einer sehr viel schlechteren Lage als die Regierungen der Weimarer Republik, die sich gegebenenfalls zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung bei Unruhen und Aufständen immer noch auf den Einsatz der bewaffneten Macht stützen konnten.
- aus der Umorganisation der Volkspolizei der sowjetischen Besatzungszone:
Der Ausbau der Volkspolizei im Jahre 1952 zu sogenannten nationalen Streitkräften, die über Landstreitkräfte sowie über See- und Luftverbände verfügen, hat für die Sicherheit der Bundesrepublik eine entscheidende Wendung gebracht und eine ernste Lage geschaffen. Die Volkspolizei hat zweifellos wichtige Aufgaben im Kalten Krieg. Insbesondere soll sie an den Zonengrenzen durch zahlreiche Einzelaktionen oder durch demonstrative Streifen und Manöver die westdeutsche Bevölkerung einschüchtern, um sie der kommunistischen Propaganda gefügiger zu machen. Auffallend in diesem Zusammenhang ist die gleichzeitige Unterstützung, die die getarnten und Untergrundorganisationen der KPD in der Bundesrepublik von der SED und Karlshorst erhalten haben, um revolutionären Aufruhr und offenen Terror vorzubereiten.
Die Volkspolizei verfügt bei einer Stärke von 130 000 Mann über drei voll aufgefüllte und vollbewaffnete Divisionen und über Kadereinheiten, aus denen für 1953 die Aufstellung von weiteren neun Divisionen beabsichtigt ist. Hiermit wird sie einen Stand von 250 000 bis 300 000 Mann erreichen. Sie ist mit neuzeitlichen russischen Waffen ausgestattet und hat allein an Panzern 800, an Geschützen aller Kaliber bis 15,2 cm 1300 Stück. Die Marine der Vopo besteht aus 20 Küsten- und Minenräumbooten; sie soll im Laufe dieses Jahres verdoppelt werden. Die seit einiger Zeit aufgestellte Luftdivision ist z. Zt. noch mit russischen Übungsflugzeugen ausgestattet. Sie wird im Sommer 1953 auf russische MIG 15 mit 1000 km/h Geschwindigkeit umgerüstet.
Außer dieser Volkspolizei besteht noch eine Grenzwachtruppe, deren Vermehrung von 22 000 auf 40 000 Mann im Gange ist.
- aus Vergleichen mit der Bewaffnung ausländischer Polizeien mit gleichen oder ähnlichen Aufgaben, wie sie der Bundesgrenzschutz und die Bereitschaftspolizei in der Bundesrepublik haben:
Hier darf auf die italienischen Polizeikräfte hingewiesen werden (mit den Carabinieris und der Bereitschaftspolizei einschließlich der Celere 160 000 Mann), die Straßenpanzerfahrzeuge aus britischen Beständen besitzen, die mit 3,7 cm und schwereren Kanonen bestückt sind. Ferner verfügen sie über Granatwerfer. Die nationale Polizeireserve Japans wurde vor kurzem von 75 000 auf 110 000 Mann verstärkt und mit 40 10,5 cm Haubitzen, 40 leichten Straßen-pan-zern, 120 leichten Flugzeugen einschließlich einiger Hubschrauber und 68 Küstenpatrouillenbooten von 30 t und 15 km/h Geschwindigkeit ausgerüstet.
Demgegenüber ist die Bewaffnung der kasernierten Polizeieinheiten in der Bundesrepublik auf einem Stand verblieben, der durchaus unzulänglich und veraltet ist. Es darf daran erinnert werden, daß die Karabiner der Einheiten aus Beutebeständen ehemaliger deutscher Heereswaffen stammen und teilweise mit schweren Mängeln behaftet sind, daß verschiedene Pistolensysteme trotz der geringen Mannschaftsstärke Verwendung finden müssen und daß es fast gänzlich an allen anderen modernen Waffen fehlt.
Um diesem Zustand abzuhelfen, beehrt sich die Bundesregierung, im einzelnen Wünsche vorzutragen:
a) Die leichten gepanzerten Fahrzeuge des Bundesgrenzschutzes und der Bereitschaftspolizeien der Länder müssen vermehrt werden. Die bisher vom amerikanischen Element der Alliierten Hohen Kommission der Bundesregierung verkauften 70 Fahrzeuge sind für das gesamte Bundesgebiet unzureichend. Da eine Herstellung im Inland unmöglich ist, ein Ankauf Ausland wegen der Preise und der Devisenlage der Bundesrepublik auf sehr große Schwierigkeiten stößt, wäre es erwünscht, wenn sich das amerikanische Element der Alliierten Hohen Kommission entschließen könnte, der Bundesregierung erneut eine größere Anzahl leichter gepanzerter Fahrzeuge zur Verfügung zu stellen, möglichst zu ähnlichen Bedingungen, wie sie für die erste Lieferung bestanden.
b) Die leichten gepanzerten Fahrzeuge müssen mit Kanonen des Kalibers 3,7 cm versehen werden. Ein Einsatz der gepanzerten Fahrzeuge ohne ausreichende Bestückung wird den Anforderungen einer größeren Unruhebekämpfung nicht gerecht. Es darf darauf hingewiesen werden, daß die italienische und die japanische Polizei aus guten Gründen auf eine Verwendung leichterer Kanonen trotz ihres gleichartigen Aufgabengebietes nicht verzichtet haben. Der Ersatzeinbau von leichten Maschinengewehren, wie er in Deutschland aushilfsweise vorgenommen wird, bleibt eine Behelfslösung.
c) Bundesgrenzschutz und Bereitschaftspolizeien der Länder müssen mit leichten und mittleren Granatwerfern ausgerüstet werden. Ein Häuser- und Bandenkampf sowie ein Beschuß verdeckter Ziele, der bei der kommunistischen Kampftaktik einen breiten Raum einnehmen wird, verspricht ohne Einsatz von Granatwerfern keinen Erfolg. Ihr Einsatz hilft auch unnötige Opfer an Ordnungskräften sparen.
d) Schnelle Sicherungsboote für die Überwachung des Seegrenzraumes gegen die Ostzone sind erforderlich. Die Ostseegrenze erstreckt sich über 300 km. Eine wirksame Überwachung dieses Raumes und eine Verfolgung verdächtiger Fahrzeuge ist nur möglich, wenn Polizeiboote mit größeren Geschwindigkeiten zur Verfügung stehen als die bisherigen langsamen und schwerfälligen Boote des Seegrenzschutzes. Solche schnellen Boote sind auch bereits von der Bundesregierung in Auftrag gegeben worden. Bisher hat aber die Alliierte Hohe Kommission die Zustimmung zur Fertigstellung nicht ausgesprochen, da es sich nach ihrer Ansicht hierbei um Kriegsfahrzeuge handle. Die Bundesregierung darf dringend bitten, eine Revision dieser Ansicht in Erwägung zu ziehen.
e) Luftfahrzeuge für die Überwachung des Luftraumes an der Sowjetzonengrenze sind erforderlich. Bei der Überwachung der Sowjetzonengrenze und der Lenkung des Einsatzes des Bundesgrenzschutzes bei Rettungsaktionen und Katastrophenfällen hat sich das Fehlen jeglicher Luftfahrzeuge ganz besonders nachteilig bemerkbar gemacht. Die Polizeikräfte in anderen Ländern, insbesondere in Amerika und Frankreich, sehen eine Verwendung von Luftfahrzeugen als selbstverständlich an. Die Bundesregierung spricht daher die Bitte aus, daß die Beschaffung von Hubschraubern bzw. langsam fliegenden Flugzeugen für Polizeizwecke gestattet wird. Diese Wünsche stellen nach Meinung der Bundesregierung angesichts der wachsenden Gefahr ernster kommunistischer Störungen in der Bundesrepublik und des Ausbaus der Volkspolizei in der sowjetischen Besatzungszone ein Minimum dessen dar, was erforderlich ist, um Bundesgrenzschutz und Bereitschaftspolizei mit modernen Waffen so auszurüsten, daß sie ihren Aufgaben wirklich gerecht werden können. Es wird daher die nachdrückliche Bitte an die Alliierte Hohe Kommission gerichtet, diesen Erfordernissen Rechnung zu tragen und unter Aufhebung der geltenden Beschränkungen einer angemessenen Bewaffnung aller Exekutivkräfte des Bundes ihre Zustimmung geben.
VS-Bd. 3197 (Abteilung 2)
(1) Durchdruck.
(2) Robert Lehr.
(3) Am 2. März 1953 erteilte der Geschäftsführende Vorsitzende der AHK, Francois-Poncet, Bundeskanzler Adenauer eine vorläufige Antwort. Für den Wortlaut des Schreibens vgl. VS-Bd. 3197 Abteilung 2).
Mit Schreiben vom 19. März 1953 wandte sich Adenauer erneut an Francois-Poncet: "Seit langem bemüht sich die Bundesregierung, die Stärke des Bundesgrenzschutzes zu vermehren und seine Ausrüstung zu verbessern. Die Gründe, die die Bundesregierung hierzu veranlassen, sind oft erörtert worden und allgemein bekannt. Sie sind so überzeugend, daß es mir ausgeschlossen schien, die Notwendigkeit dieser Forderungen ernstlich in Zweifel gezogen werden könnte. Um so mehr überrascht mich die bisherige Haltung der Alliierten Hohen Kommission in dieser wichtigen Frage, und ich bin bestürzt über den Widerstand und die zahlreichen Bedenken, die von alliierter Seite gegen die bescheidenen Wünsche der Bundesregierung geäußert worden sind." Vgl. VS-Bd. 3196 (Abteilung 2); B 150, Aktenkopien 1953.
Für die Stellungnahme der AHK vgl. das Schreiben des Geschäftsführenden Vorsitzenden der AHK, Conant, vom 15. Mai 1953 an Adenauer; VS-Bd. 3197 (Abteilung 2).
[Quelle: Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1953, Band I: 1. Januar bis 30. Juni 1953, hrsg. im Auftrag des Auswärtigen Amts vom Institut für Zeitgeschichte, München 2001, S. 221-225.]
|