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REGIERUNG DER DEUTSCHEN DEMOKRATISCHEN REPUBLIK
Ministerium für Staatssicherheit
1. Stellvertreter des Ministers
Berlin, den 27. April 1953
An das
Ministerium für Staatssicherheit
Bezirksverwaltung Chemnitz
Herrn Oberstleutnant Schneider
Chemnitz
Geheime Verschlußsache
15. Exemplare je 5 Blatt
2. Exemplar, 5 Blatt
Anweisung Nr. 10/53
Die Hauptaufgabe auf dem Lande ist die Stärke der MTS [Maschinen- und Traktoren-Stationen, d. Hg.]. Die MTS müssen zu Zentren der Umgestaltung des Dorfes werden, deren besondere Bedeutung darin liegt, die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften zu festigen und damit die sozialistischen Grundlagen in der Landwirtschaft zu schaffen.
Der Feind hat die veränderte Lage in der Landwirtschaft schnell begriffen, er erkennt die Kraft der Prokuktionsgenossenschaften, er begreift, daß er seine Positionen im Dorfe mehr und mehr verliert und verstärkt seine Wühlarbeit durch Anpassung an die neue Lage.
Reaktionäre Elemente, Großbauern, ehemalige Gutsinspektoren, zurückgebliebene und enteignete Großgrundbesitzer, Gewerbetreibende, reaktionäre Elemente der Kirche, ehem. Offiziere, Faschisten, Stahlhelmer, ehemalige Angehörige kapitalistischer Bauernverbände und Genossenschaften haben sich schon wichtige Funktionen in den MTS, landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, bäuerlichen Handelsgenossenschaften, Kreis- und Gemeindeverwaltungen erschlichen.
Ihre Zersetzungs- und Schädlingstätigkeit führen sie durch in der geschickten Verbreitung feindlicher Nachrichten, Anordnung von bürokratischen Maßnahmen, unrechtmäßige Gewährung von Krediten an Großbauern, Anwendung falscher Erfassungsmethoden, Durchführung formaler Differenzierung des Ablieferungssolls, Nichteinhaltung des Wunschanbauplanes und schlechte Versorgung der Bevölkerung auf dem Lande durch HO und Konsum.
Die Republikflucht vieler Groß-, Mittel- und Kleinbauern ist auf diese Zersetzungs- und Schädlingstätigkeit zurückzuführen, ohne von den Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit bemerkt zu werden.
Eine verstärkte Sabotagetätigkeit des Klassengegners in der Landwirtschaft ist zu verzeichnen. Fortschrittlichen Bauern wird das Vieh vergiftet. Um den Tieraufzuchtplan zu gefährden, wurden falsche Impfstoffe verwandt. Aus schweinepestgefährdeten Gebieten wurden Ferkel in andere Gebiete transportiert. Scheunen und Wirtschaftsgebäude werden durch Brände vernichtet. Traktoren und andere landwirtschaftliche Geräte werden unbrauchbar gemacht.
Terroristen bedrohen fortschrittliche Bauern, die in Produktionsgenossenschaften eintreten wollen, und überfallen Angehörige von Produktionsgenossenschaften.
Bisher ist es nur schwach gelungen, diese feindlichen Elemente, die mit allen Mitteln, einschließlich Mord und Terror, ihre Ausbeuterinteressen verteidigen, zu entlarven und unschädlich zu machen.
Auf Beschluß des Politbüros unserer Partei wurden in den MTS politische Abteilungen geschaffen, deren Aufgabe es ist:
- Die Festigung des Bündnisses der Arbeiterklasse mit den werktätigen Bauern;
- die Entwicklung der MTS zu Zentren der organisatorischen, wirtschaftlichen und politischen Arbeit unter den werktätigen Bauern und Umgestaltung des Dorfes auf sozialistischer Grundlage.
Die politischen Abteilungen der MTS sind verantwortlich:
Für die Hebung des ideologischen und politischen Niveaus der Belegschaft der MTS, der fachlichen Weiterbildung der Traktoristen und Mitarbeiter, für die organisatorische, wirtschaftliche und politische Arbeit unter den werktätigen Bauern.
Sie müssen sich um alle Dinge, die im Dorfe vor sich gehen, kümmern, eine gründliche Kenntnis der Lage der Dörfer haben, die zum Bereich der MTS gehören.
Sie müssen über die Unklarheiten im Dorf unter den werktätigen Bauern in ihrer Einstellung zu den Produktionsgenossenschaften orientiert sein. Welche Großbauern leisten gegenüber der Entwicklung der Produktionsgenossenschaften und der MTS Widerstand. Sie müssen wissen, wie die bäuerlichen Handelsgenossenschaften arbeiten, ob sie helfen oder nicht. Sie müssen wissen - und auch kontrollieren - wie die Beschlüsse der Regierung zur Förderung der Produktionsgenossenschaften sowie der werktätigen Bauern und der Landarbeiter durchgeführt werden.
Sie müssen sich um die Beschwerden der werktätigen Bauern betr. fortlaufender verspäteter und unregelmäßiger Arbeit der MTS kümmern.
Ihre Aufgabe ist es, durch offene politische Aufklärung die antidemokratischen und feindlichen Elemente im Dorfe zu isolieren.
Der stellvertretende Leiter der Politabteilung ist ein Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, der seine verantwortliche Aufgabe wie folgt durchzuführen hat:
- Der Mitarbeiter wird in seine Funktion als stellv. Leiter der Politabteilung eingesetzt, nachdem der Leiter der Bezirksverwaltung mit dem 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED Rücksprache gehalten hat. (Siehe Anlage)
- Der Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit in der Funktion des stellv. Leiters der Politabteilung der MTS untersteht dem Leiter der Kreisdienststelle.
- Die Hauptaufgabe ist die Schaffung geeigneter GI [Geheimer Informatoren, d. Hg.] und GM [Gesellschaftlicher Mitarbeiter, d. Hg.] in dem Arbeitsbereich und die systematische Arbeit mit diesen.
- Der Arbeitsbereich ist:
a) die MTS; b) alle im Bereich dieser MTS liegenden Orte und Objekte (außer den Schwerpunktbetrieben); c) Produktionsgenossenschaften; d) Leitwerkstatt der MTS; e) Saatzuchtgesellschaften; f) Volkseigene Güter; g) bäuerliche Handelsgenossenschaften; h) Konsum, Verwaltungen, Schulen usw.
- Diese Objekte sind schwerpunktmäßig auf allen Linien, Spionage, Sabotage, Untergrund usw. zu bearbeiten.
- Die Mitarbeiter haben ihren Sitz in der Kreisdienststelle, wo sich auch sämtliche Unterlagen, wie Personal- und Arbeitsakten der GI und GM, operative Vorgänge, Operativpläne und Treffpläne sowie anderes Material befinden.
- Die Auswertung der GI-, GM- und anderen Berichte wird grundsätzlich nur in der Kreisdienststelle vorgenommen. Ebenso die Ausarbeitung operativer Maßnahmen.
- Liegt die MTS von der Kreisdienststelle weit entfernt, so ist nach Möglichkeit ein Panzerschrank in einem dem stellv. Leiter der Politabteilung der MTS zugeteilten Raum zur Verfügung zu stellen.
Der Panzerschrank kann nur von dem Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit benutzt werden. Die Schlüssel sind immer in persönlichem Gewahrsam zu halten. In den Panzerschrank kommen nur die Berichte und Aufzeichnungen, die der Mitarbeiter während der Tage seiner operativen Tätigkeit im Bereich der MTS erhalten hat. Der Panzerschrank ist stets zu versiegeln.
- Als stellvertretender Leiter hat der Mitarbeiter alle der Politabteilung bekannten Hinweise über vorhandene Mängel und Schwächen, über feindliche Tätigkeit usw. zu erhalten.
- Informationen allgemeiner Art (die nicht aus GI und GM Berichten stammen) können nach Genehmigung durch den Kreisdienststellenleiter an den Leiter der Politabteilung gegeben werden.
- Das Auftreten des stellvertretenden Leiters der Politabteilung muß vorbildlich, zurückhaltend und bescheiden sein. Bei Besprechungen darf er niemals über seine operative Tätigkeit sprechen.
- In Versammlungen ist nicht aufzutreten. Sprechstunden sind nicht abzuhalten.
- Bei Krankheit, Urlaub oder Abwesenheit des Leiters der Politabteilung ist die Vetretung nicht zu übernehmen.
- Die Anleitung und Kontrolle der Mitarbeiter, die als stellvertretende Politleiter der MTS tätig sind, hat ständig durch den Leiter der Kreisdienststelle zu erfolgen.
- Der Leiter der Kreisdienststelle oder sein Stellvertreter haben gemäß Anweisung:
a) selbst wichtige GI und GM zu werben; b) wichtige Treffs mit GI und GM durchzuführen; c) wichtige operative Vorgänge selbst zu bearbeiten.
Mielke
Anlage zur Anweisung Nr. 10/53
Mit dem 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED ist betreffs Einweisung unserer Mitarbeiter in die Funktion als stellv. Leiter der Politabteilungen der MTS Rücksprache zu halten:
- Die Personalunterlagen der Mitarbeiter verbleiben in der Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit und nur dem 1. Sekretär der Bezirksleitung der Partei ist bekannt, daß die stellv. Leiter der Politabteilungen der MTS Angehörige des MfS sind.
- Dem 2. Sekretär der Bezirksleitung der SED sind die Namen und notwendigen Personalien unserer Mitarbeiter - aufgeschlüsselt nach den vorgesehenen MTS der einzelnen Kreise - zu übergeben.
- Über die Aufgaben der Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit in ihrer Funktion als stellv. Leiter der Politabteilungen der MTS ist mit dem 1. Sekretär der Bezirksleitung der SED festzulegen:
a) Als Stellvertreter der Politabteilung der MTS hat er Einblick in alle Unterlagen. b) Kenntnis von allen der Politabteilung bekannten Hinweisen und Vorkommnissen, sowie Unklarheiten im Dorfe in der Einstellung der werktätigen Bauern zu den Produktionsgenossenschaften, welchen Widerstand leisten die Großbauern in der Entwicklung der Produktionsgenossenschaften, wie ist die Hilfe von Seiten der bäuerlichen Handelsgenossenschaften usw. zu bekommen. c) Wichtige Entscheidungen, die vom Leiter der Politabteilung zu treffen sind, können mit dem stellv. Leiter der Politabteilung beraten werden. d) Der Leiter der Politabteilung kann dem Stellvertreter keinen Auftrag erteilen an Tagungen, Konferenzen usw. teilzunehmen, Ermittlungen zu führen, Personen zu vernehmen oder gar festzunehmen. e) Der Leiter der Politabteilung kann den Stellvertreter in Dienstbesprechungen nicht auffordern, Stellung zu nehmen zu operativen Vorgängen, die in Bearbeitung stehen. f) Informationen und Hinweise, die der stellv. Leiter der Politabteilung auf Grund seiner operativen Tätigkeit erhält und für den Leiter der Politabteilung von Bedeutung sind (unsere operative Arbeit aber nicht dechiffrieren), können diesem mitgeteilt werden
- Schwierigkeiten, die sich in der Zusammenarbeit ergeben sollten, werden vom Leiter der Politabteilung dem 1. Sekretär der Bezirksleitung der Partei direkt gemeldet. Ebenso vom stellv. Leiter der Politabteilung - über den Leiter der Kreisdienststelle - dem Leiter der Bezirksverwaltung.
("Die unter 3.f in Klammern stehenden Bemerkungen werden mit dem Leiter der Bezirksleitung der SED selbstverständlich nicht durchgesprochen. Es ist hier nach dem Punkt 10 der Anweisung zu verfahren.")
[Quelle: BStU, ZA, MfS-Dok. 101391, Bl. 1-7.]
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