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Auszug aus einer Rede von Premierminister Sir Winston Churchill vor dem Unterhaus, 11.Mai 1953
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Das wichtigste Ereignis seit unserer letzten außenpolitischen Debatte ist natürlich die Veränderung in der Haltung und, wie wir alle hoffen, in der Gesinnung, die sich nach Stalins Tod im sowjetischen Machtbereich und vor allem im.Kreml vollzogen hat. Das ganze Unterhaus hat dies mit großer Aufmerksamkeit beobachtet. Es ist die Politik der Regierung Ihrer Majestät, mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln zu vermeiden, etwas zu tun oder zu sagen, was eine sich anbahnende günstige Reaktion unterbinden könnte, und jedes Zeichen einer Verbesserung der Beziehungen zu Rußland zu begrüßen. Wir. sind durch eine Reihe freundlicher Gesten der neuen sowjetischen Regierung ermutigt worden. Diese haben bisher darin bestanden, aufzuhören, uns etwas zuzufügen, was wir ihnen nicht zugefügt haben. Daher ist es schwierig, spezifische Beispiele anzuführen, an denen ihre Handlungsweise gemessen werden könnte. Sollten jedoch Beispiele angeführt werden können, so würde Ihrer Majestät Regierung sie zweifelsohne umgehend und wohlwollend prüfen.
Ueber dieses Thema möchte ich einige allgemeine Bemerkungen wagen, die, wie ich hoffe, mit Duldung und Nachsicht erörtert werden. Es würde glaube ich, ein Fehler r sein, davon auszugehen, daß nichts mit der Sowjetregierang bereinigt werden könne, wenn nicht und ehe nicht alles bereinigt ist. Schon die Bereinigung von zwei oder drei Schwierigkeiten wäre ein bedeutsamer Gewinn für jedes friedliebende Land. Beispielsweise Frieden in Korea, der Abschluß eines österreichischen Staatsvertrages - diese könnten zu einer Entspannung unserer Beziehungen für. die nächsten Jahre führen, die möglicherweise neue Aussichten auf Sicherheit und Wohlstand für alle Nationen und Kontinente eröffnen würden. Daher wäre es, wie ich glaube, ein Fehler, die Dinge schon im einzelnen festlegen zu wollen. Die ernsten und grundsätzlichen Fragen, die die kommunistische und die nichtkommunistische Welt heute voneinander scheiden, können nicht auf einen Schlag durch eine einzige, umfassende Regelung bereinigt werden.
Die Lösung einzelner Probleme nacheinander sollte nicht verachtet oder achtlos beiseite geschoben werden. Es könnte sicherlich nichts schaden, wenn eine Zeitlang jeder Staat sich überlegen würde, was er tun könnte, um dem anderen Annehmlichkeiten statt Unannehm-lichkeiten zu bereiten. Vor allem wäre es schade, wenn der natürliche Wunsch, eine allgemeine Verständigung über die Weltpolitik zu erreichen, eine spontane und gesunde Evolution aufhalten würde, die vielleicht innerhalb Rußlands stattfindet. Ich habe einige der innerpolitischen Manifestationen und augenscheinlichen Gesinnungsänderungen in Moskau für weit wichtiger gehalten als das, was außerhalb Rußlands vorging. Mir liegt daran, daß nichts in der Darlegung der Außenpolitik der NATO-Mächte das, was eine tiefe Bewegung des russischen Gefühls sein kann, gewissermaßen verdrängt oder ihm die Kraft nimmt.
Wir alle wünschen, daß das russische Volk den hohen Platz in der Weltpolitik einnimmt, der ihm zukommt, ohne um seine eigene Sicherheit besorgt zu sein. Ich glaube nicht, daß das ungeheure Problem, die Sicherheit Rußlands mit der Freiheit und Sicherheit Westeuropas in Einklang zu bringen, unlösbar ist. Ja, wenn die Vereinten Nationen die Autorität und den Charakter hätten, die ihre Schöpfer erhofft hatten, wäre dies Problem bereits gelöst. Ich denke an den Locarno-Vertrag von 1925. Er war der höchste Gipfel, den wir zwischen den beiden Kriegen erreichten. Als Schatzkanzler in jenen Tagen war ich eng vertraut mit ihm. Er gründete sich auf den einfachen Gedanken, daß bei einem Angriff Deutschlands auf Frankreich wir den Franzosen und bei einem Angriff Frankreichs auf Deutschland wir den Deutschen beistehen sollten.
Die Lage ist heute nach Ausmaß und Faktoren sehr verschieden, und doch bin ich der Meinung, daß der Grundgedanke, der den Locarno-Vertrag beseelte, sehr wohl auch in bezug auf das Verhältnis zwischen Deutschland und Rußland im Denken derer eine Rolle spielen könnte, deren vornehmster Ehrgeiz es ist, den Frieden Europas als Schlüssel zum Frieden der ganzen Menschheit zu konsolidieren. Rußland hat ein Recht, sicher zu sein - soweit es in der Macht menschlicher Vereinbarungen steht -, daß die furchtbaren Geschehnisse der Hitler- Invasion sich nie wiederholen und daß Polen ein befreun-deter Staat und ein Pufferstaat bleibt, wenn auch nicht, so hoffe ich, ein Marionettenstaat.
Ich nehme mir die Freiheit, dem Hause einige Worte vorzulesen, die ich vor genau acht Jahren, am 29. April 1945, in einem Telegramm an Stalin schrieb:
"Es liegt nicht viel Trost darin, in eine Zukunft zu schauen, in der Sie und die Länder, die Sie beherrschen, und die Kommunistischen Parteien in vielen anderen Staaten alle auf der einen Seite aufgeboten werden, und diejenigen, die sich um die englischsprechenden Nationen und ihre Verbündeten oder Dominions scharen, auf der anderen. Es ist ganz klar, daß ihr Streit die Welt in Stücke reißen würde und daß alle führenden Männer auf jeder Seite, die damit irgend etwas zu tun hätten, vor der Geschichte beschämt dastehen würden. Selbst eine lange Periode des Verdachts, der Beschimpfung und Gegenbeschimpfung und der gegnerischen Politik würde ein Verhängnis sein, das die große Entwicklung zur Weltwohlfahrt der Massen hindern würde, die nur durch unsere Dreieinigkeit erreichbar ist. Ich hoffe, in diesem Herzenserguß ist kein Wort und kein Satz, der Sie unabsichtlich kränkt. Wenn es so ist, so lassen Sie es mich wissen. Aber ich bitte Sie, kein Freund Stalin, unterschätzen Sie die Meinungsverschiedenheiten nicht, die sich in Fragen zu zeigen beginnen, von denen Sie annehmen, daß sie für uns geringfügig seien, die aber symbolisch sind für die Art, in der die englischsprechenden Demokratien das Leben anschauen.
Ich fühle heute genau so. Ich muß es ganz klar aussprechen, daß ich trotz aller Ungewiß-heiten und Verwirrungen, in denen sich heute die Weltpolitik befindet, vonglaube, es sollte eine Konferenz auf höchster Ebene zwischen den führenden Mächten abgehalten werden, und zwar ohne langen Aufschub. Diese Konferenz sollte nicht von einer schwerfälligen oder starren Tagesordnung belastet werden oder sich in Irrgärten und Dschungel technischer Einzelheiten verlaufen und zum Schlachtfeld Scharen von Experten und Beamten werden, die in gewaltiger schwerfälliger Kampfordnung aufgestellt sind Die Konferenz sollte auf die kleinstmögliche Zahl von Mächten und Personen beschränkt sein. Sie sollte mit viel Informalität und noch mehr Verschwiegenheit hinter verschlossenen Türen tagen. Es mag wohl sein, daß keine festen Abmachungen erzielt werden; aber die Teilnehmer könnten vielleicht doch das allgemeine Gefühl haben, daß sie Besseres tun können, als die ganze Menschheit und sich selber mit ihr zu zerstückeln. So könnten sie sich beispielsweise von der Idee angezogen fühlen - die, wie sich gezeigt hat, auch Präsident Eisenhower anzog und von der Prawda nicht verneint wird -, den müden, sich plagenden Massen dieser Erde die Chance zu geben, in die schönste Zeit des Glücks, der Gerechtigkeit, des Wohlstandes, der Muße und der harmlosen Fröhlichkeit einzutreten, die ihnen in Wirklichkeit oder auch nur in ihren Träumen greifbar war.
Ich sage nur, daß dies geschehen könnte. Und ich sehe nicht ein, warum irgend jemand sich fürchten sollte, einmal den Versuch zu unternehmen. Wenn nicht an der Spitze der Nationen der Wille vorhanden ist, nach dem größten Preis und der größten Ehre zu streben, die der Menschheit dargeboten sind, wird die verhängnisschwangere Verantwortung diejenigen treffen, bei denen heute die Macht zur Entscheidung liegt. Im schlimmsten Falle werden die Teilnehmer an einer solchen Konferenz einen engeren Kontakt hergestellt haben. Im besten Falle werden wir ein Menschenalter lang in Frieden leben. [...]
[Quelle: Europa-Archiv,10/11. Folge, 1953, S. 5743-5744.]
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