A b s c h r i f t


VPA (B) Schkopau
- Einsatzleitung-

Schkopau, den 26.6.1953

An die
Bezirksleitung der SED
H a l l e (Saale)

Bericht über die am 26.6.53 durchgeführte Aussprache zwischen dem Mitglied des ZK, Gen. Fred Ölsner, und einem Teil der Belegschaft der Buna Werke in B 13.

Die Versammlung begann gegen 10.00 Uhr und endete gegen 16.00 Uhr. Zu dieser Versammlung waren 600 Kollegen eingeladen und auch erschienen. Die erschienenen Kollegen waren diejenigen, welche teilweise als Wortführer und Organisatoren des 17. Juni auftraten. Gen. Fred Ölsner kam in seiner Ansprache auf die Vorkommnisse vom 17.6. 1953 zu sprechen und führte aus, daß die Produktionsarbeiter sowie alle ehrlichen Arbeiter nicht mit den Provokateuren des 17.6. identisch sind, sondern der Streik nach den Forderungen Senkung bzw. Abschaffung der Normen und Verbesserung des Lebensstandardes von den Provokateuren ausgenutzt wurde, um die Unruhen und einen Putsch zu insenieren [sic!]. Genosse Ölsner faßte sich in seinen Ausführungen kurz und übergab dann den Diskussionsrednern das Wort. An Diskussionsrednern waren 39 Wortmeldungen vorhanden, wovon 28 gesprochen haben. Sämtliche Diskussionen waren durchaus negativ.

Der Genosse Loose, Helmut, besch. in G 32, gab allen Diskussionsrednern die Linie mit seinen Ausführungen. Er stellte von vornherein drei Forderungen auf: Erstens, wir verlangen eine schriftliche Garantie von Fred Ölsner, daß keinem der Diskussionsrednern ein Nachteil aus seinen Diskussionsbeiträgen entsteht. Zweitens, daß die Redezeit unbegrenzt sei und drittens, daß die Diskussionen durch Werkfunk voll und ganz übertragen werden, damit die Kollegen im Betrieb diese Ausführungen hören.

Er führte aus, daß für die Entlassung der politischen Gefangenen ein Weg gefunden werden müsse. Weiter sagte er, daß die Fehler der Demonstranten, wie die Erstürmung der Gefängnisse und Regierungsgebäude, die gleichen Fehler sind, wie sie die Regierung der DDR begangen hat und verlangte hierfür ebenfalls eine Bestrafung der in Frage kommenden Regierungsmitglieder.

Er führte aus, daß [am] 18.6.53 Dr. N e l l e s als Werkleiter aufforderte, die Arbeit wieder aufzunehmen, anderenfalls sie von der Sowjetarmee dazu gezwungen würden, hierauf kamen aus der Masse spontane Pfuirufe.

Zu dem Hissen der schwarzen Fahne am 23.6.53 führte Loose aus, daß nicht nur Provokateure erschossen wurden, sondern auch ehrliche Arbeiter und für diese hätte G 32 die schwarze Fahne gehißt und eine Gedenkpause von fünf Minuten eingelegt.

Er führte aus, daß er mit der Volkspolizei nicht einverstanden sei, da diese als Söhne der Arbeiter auf andere Arbeiter geschossen haben. Im Verlaufe seiner weiteren Diskussion sprach er sein Mißtrauen gegenüber der Regierung der DDR aus.

Er sagte, in solch einer Situation müßte sich ein Staatsmann wie Wilhelm P i e c k unverzüglich zu seinen Pflichten begeben, jedoch hat Wilhelm Pieck dies nicht für notwendig erachtet. Er forderte die Amtsenthebung der Funktionäre, welche die Fehler begangen haben, die bereits durch die Regierung revidiert wurden.

Heinz Frauendorf sagte, wenn wir zufrieden gewesen wären, hätten wir nicht gestreikt. Die errungenen Gelder unserer Wirtschaft sollten nicht in die Volkspolizei gesteckt werden, sondern für die Verbesserung de Lebenslage der Werktätigen Verwendung finden. Frauendorf stellte einen Mißtrauensantrag gegen die BGL.

Helmut S a c h s e aus dem Elektrobetrieb E 44 führte aus, daß der FDGB für die Durchpeitschung einiger Beschlüsse der Partei mißbraucht worden wäre und nicht mehr das Kampfinstrument der Arbeiterklasse wäre. Weiter führte er aus, daß die 10 Punkte nicht eine Garantie für die Verbesserung der Lebenslage wäre. Weiter forderte er die Freilassung aller inhaftierten Gefangenen sowie Freiheit für alle anständigen Arbeiter, die die Interessen der Arbeiter vertreten. Zum Schluß sagte er, Abscheu und harte Strafe denen, die wir als Provokateure und Verräter unserer Sache betrachten. Dieser Ausspruch S a c h s e s war der einzige positive Moment in der ganzen Diskussion.

Rudolf B ö h m aus C 34 kritisierte die Wohnverhältnisse im Gemeinschaftslager und führte aus, daß ca. 280 Familien in menschenunwürdigen Verhältnissen leben würden. Er sagte wörtlich: "Bevor das Ungeziefer kaputt geht, gehen wir kaputt."

Der Kollege F ö r t s c h , Bau A 65, sagte, die Regierung habe versagt und stellte Forderungen nach einer Neuwahl.

Die Kollegin Emmi F a u s t forderte einen Haushaltsplan für alleinstehende Frauen.

Der Kollege F i r s t aus B 66 sagte, daß die Volkspolizei geschossen habe, während die Sowjetarmee keinen Schuß abgegeben habe. Wir brauchen keine Polizei, führte er aus, und sagte, daß, wer zu faul zum Arbeiten sei, zur Polizei gehe. Er bezeichnete den Held der Arbeit, Willy Freihof, als Arbeitsschänder und fragte den Genossen L e o n h a r d t nach der Höhe seines Gehaltes.

Kollege S t a u b e r aus G 32 stellte die Forderungen nach Freilassung aller politisch Inhaftierten sowie freie demokratische Wahlen, der Einheit Deutschlands und Ablösung der Funktionäre der BGL und AGL. Des weiteren forderte er auf, daß die Werkzeitung kein Blatt der SED sein darf. Er fragte an, warum die Aktivisten bei allen bevorzugt werden.

Nachdem einige Diskussionsredner gesprochen hatten, sprach der Kollege P o m m e r von der Abteilung Werkfeuerwehr und sagte, daß er von der AGL geschickt sei, um über einige Fragen Auskunft zu erhalten. Er führt aus, daß auch er, also die Feuerwehr, nicht zufrieden sei und am liebsten mit demonstriert hätte, jedoch das Pflichtgefühl hätte sie am Platz gehalten.

Kollege Kolberg aus A 65 sagte, die Provokateure sind in anderen Reihen zu suchen. Er sagte, die Partei läßt die Marschroute vom Rias vorschreiben, da bereits der Rias schon Tage vorher Meldungen bringt, was in der Zukunft geschehen wird.

Die Angestellte Ingeborg Schmiel sagte, dass jetzt Worte genug gewechselt seien und die Werktätigen jetzt Taten sehen wollen. Es wäre nur die Empörung gewesen über die schlechte Lebenslage und aus diesem Grunde wäre es zu Ausschreitungen gekommen. Sie glaubt nicht, daß es dazu Provokateure notwendig habe.

Die Kollegin Ingeborg Gesell aus F 17 forderte eine Freiheit wie sie im Westen bestehe und sagte, daß die Bewachung des SAG-Betriebes Chemische Werke Buna durch die Besatzungsmacht das gemeinste Mittel war, um gegen die Arbeiter vorzugehen. Sie sagte, wenn hier aber etwas gesagt wird, was uns nicht paßt, dann muß man Angst haben, daß man einfach weggeholt wird.

Der Kollege E x n e r aus A 106 sagte, daß die SED aus der Geschichte der Arbeiterklasse bisher noch nicht gelernt habe, die stützten sich auf die Bajonette.

Kollege T h i e m a n n aus B 79 forderte, daß die Minister zur Rechenschaft gezogen werden und eine Neuwahl der Gewerkschaft.

Ing. R i e d e r m a n n brachte in seiner Diskussion zum Ausdruck, daß er ein Feind der Sowjetunion sei, und provozierte so in seinen ganzen Ausführungen. Er sagte, warum habe man Chemnitz in Karl-Marx-Stadt umgetauft, dies war nicht der Wille der Bevölkerung, aber ihr Geld, es mußten neue Stempel, neues Briefpapier u. dergl. angefertigt werden. Er sagte weiter, daß eine Person, er konnte keinen Namen nennen, von dem "Russen" wegen einer kleinen Äußerung zu 18 Jahren Zuchthaus verurteilt wäre. Weiter führte er aus, daß sehr viel Geld der werktätigen Bevölkerung für Transparente herausgeworfen würden, und daß die Transparente drei Meter lang sein könnten, an die Sache, die auf den Transparenten steht, glaubt er und kein Mensch mehr. Da Riedermann eine volkstümliche Aussprache hat, wurden seine Provokationen von den Anwesenden mit Beifall aufgenommen.

Der Ing. Gelsen aus J 72 sagte, daß die Regierung gefordert habe ein Zusammenarbeiten zwischen Intelligenz und Belegschaft. Er führte aus, daß er, um die Verbundenheit zum Ausdruck zu bringen mit seiner Belegschaft, auf die Straße ging. Er bezeichnete den Gen. G a u g l i t z als Spitzel und sagte, daß es zu den Spielregeln des Streiks die Versorgung mit Energie gehöre und aus diesem Grunde die Maschinen weiterliefen.

Nachdem 28 Diskussionsredner gesprochen haben, wurde vom 1. Sekretär der SED, Gen. Rinkel, eine Resolution zur Verlesung gebracht, worin zum Ausdruck kam, daß sich die Belegschaft der Buna-Werke von den Provokateuren und Brandstiftern distanziere und mit diesen nichts gemein haben will. Nach Verlesung dieses Absatzes erhob sich ein Tumult und die Resolution wurde mit überwiegender Stimmenmehrheit nicht angenommen.

Daraufhin nahm der Genosse Oelssner das Schlußwort, er sagte hier, daß der trotz vielen negativen Diskussionen und der ablehnenden Haltung der Versammlungsteilnehmer diese Versammlung ein voller Erfolg war. Er wurde in seinem Schlußwort mehrmals provokatorisch unterbrochen, so daß Zurückrufe und Lachen ertönte. Gegen 16.00 Uhr wurde die Versammlung geschlossen. Gen. Oelssner führte aus, daß verschiedene Personen, die hier Reden gehalten haben, die sie am 17.6.1953 wahrscheinlich nicht loswurden. Der Tag X wäre vorbei und man solle nicht glauben, daß die Staatsmacht zu schwach wäre, um einen zweiten 17. Juni zu verhindern. Man habe diese Versammlung ausgenutzt, um das fortzusetzen, was am 17.6.53 geschehen ist.

Nachdem die Versammlung bereits öffentlich geschlossen war, kam aus der Menge der Ruf "Was macht unser Präsident Wilhelm Pieck und wie geht es ihm gesundheitlich?" Daraufhin ergriff Fred Oelssner noch einmal das Wort und führte aus, daß der Genosse Wilhelm Pieck noch bis Mitte Juli d.J. zu einer Kur weile und die Regierung es nicht für notwendig erachtete, den Genossen Präsidenten aus der Kur herauszureißen und dadurch seine Gesundheit auf das Spiel zu setzen.

Im allgemeinen muß gesagt werden, daß die Versammlung durch den Diskussionsredner Loose aus G 32 die Richtung erhielt. Die Stimmung der Teilnehmer war durchaus negativ.

Einsatzleitung
gez. Schelhas
VP.Komm.

[Quelle: BArch, DO 1/11.0/305, Bl. 221-223.]