Gabriele Schnell
Der 17. Juni 1953 in Rüdersdorf

In der Maschinenabteilung des VEB Kalk-, Zement- und Betonwerk (KZuBW) legen die Beschäftigten um 7.00 Uhr die Arbeit nieder. Der Werkleiter und der Parteisekretär erscheinen. Nach heftigen Diskussionen nehmen die Beschäftigten die Arbeit wieder auf. Gegen 8.30 Uhr bildet die Volkspolizei eine Einsatzleitung. Um 9.00 Uhr treten die Bauarbeiter im Kalk- und Zementwerk 2 in den Streik. In der Nähe ihrer Wohnbaracken führen sie eine Versammlung durch.

Zur gleichen Zeit nähert sich dem Werk eine LKW-Kolonne mit 25 Fahrzeugen. Die Volkspolizei ruft die Alarmstufe III aus. Verstärkung wird angefordert. Zwölf LKWs aus der Kolonne, besetzt mit streikenden Arbeitern der Bau-Union Spree und der Ziegelei Herzfelde, halten am Werktor III. Die Streikenden fordern die Volkspolizisten auf, die Waffen niederzulegen und den Schlagbaum zu öffnen. Als das nicht geschieht, ziehen die Arbeiter den Schlagbaum selbst in die Höhe. Volkspolizisten, die sich daran festklammern, werden mit nach oben gezogen. Die Neuankömmlinge gewinnen die Arbeiter aller Betriebsteile für den Streik. Um 13.00 Uhr liegt das gesamte Werk still.

Die Streikenden stellen einen Forderungskatalog auf. Sie schicken damit eine Delegation zur DDR-Regierung nach Berlin. Ein Bericht der Staatssicherheit vermerkt:

"Die Delegation konnte an der Reise nach Berlin gehindert werden. Einige ihrer Mitglieder wurden festgenommen."

Am 18. Juni setzen die meisten Arbeiter des Werkes den Streik fort. Die Beschäftigten der Hauptwerkstatt fordern:
  1. Aufhebung des Ausnahmezustandes,
  2. Freie und geheime Wahlen,
  3. Beseitigung der Zonen- und Sektorengrenzen,
  4. Entlassung aller politischen Gefangenen,
  5. Preissenkungen in der HO,
  6. Auflösung der KVP [Kasernierte Volkspolizei],
  7. Sofortige Freilassung der verhafteten Kollegen vom 17. und 18.6.,
  8. Abschaffung des Betriebsschutzes,
  9. Beseitigung der Schlagbäume im Werk,
  10. Zentrale Versammlung aller Betriebsabteilungen,
  11. Der Kollege H. vom Betriebsschutz soll sich wegen seiner Äußerungen vom 17.6. vor der Belegschaft verantworten.
Die auf 12.45 Uhr angesetzte Versammlung des gesamten Werkes wird unterbunden: Sowjetische Truppen und der Betriebsschutz umstellen den vorgesehenen Versammlungsort. Sie fangen die Delegierten der einzelnen Abteilungen ab und lösen sämtliche Diskussionsgruppen auf.

Unter diesem Zwang nehmen die Beschäftigten die Arbeit am 19. Juni wieder auf.

Über die Ereignisse im Haftarbeitslager Rüdersdorf notiert die Volkspolizei:

"In Rüdersdorf versuchten die Demonstranten, die aus Richtung Strausberg, Herzfelde nach Rüdersdorf gekommen waren und nach längeren Debatten die Arbeiter des Zementwerkes und des Phosphatwerkes zur Arbeitsniederlegung überredet hatten, das Haftarbeitslager zu stören. Sie zogen brüllend in der Nähe des Lagers vorbei, ohne jedoch einen Angriff zu wagen. Der VP-Oberrat Löhling, Leiter des Haftarbeitslagers Rüdersdorf, zeigte eine besondere Entschlossenheit in der Sicherung des Lagers. Mit dem Beginn der Unruhe ordnete er die sofortige Einziehung der Arbeitskommandos an, unter Hinzufügung von zusätzlichem Bewachungsmaterial und Ausnutzung von Schleichwegen. Die Strafgefangenen wurden isoliert gehalten. Als Provokateure vor die Dienststelle zogen, die Freigabe der Häftlinge forderten, hatte L. es verstanden, die Volkspolizisten auf die restlose Verteidigung der Dienststelle einzurichten. Eine klare Befehlsgabe, einschließlich der Herausgabe des Schießbefehls, förderte den Sicherheitszustand der Dienststelle."

[Quellen: BA, DO-1/11.0/305, Bl. 16r-25r; BLHA, Rep. 730, Sign. 728; BStU, MfS, SdM Nr. 249, Bl. 16-33.]