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Telefonische Meldungen und Durchsagen der SED im Bezirk Leipzig am 17. Juni 1953 an das ZK der SED (Auszüge)
Quelleneditorische Anmerkung: Es handelt sich bei den vorliegenden Meldungen um Fernschreiben und telefonische Durchsagen. Vielfach fehlen in den Dokumenten Satzzeichen; es wurden Ortsnamen falsch geschrieben bzw. keine ganzen Sätze formuliert. Die Texte wurden deshalb vorsichtig orthographisch und grammatikalisch verbessert (neue Rechtschreibung), soweit es die Lesbarkeit und Verständlichkeit der Meldungen erforderte. Es fand eine Angleichung bei den Eigen- und Ortsnamen statt. Auslassungen bzw. Nichtlesbarkeit des Textes werden mit (...) und Ergänzungen bzw. Einfügungen mit [...] gekennzeichnet.
15.20 Uhr, 17.6.53, SED-BL Leipzig
Bezirksleitung Leipzig, Fernschreiben 17.6.1953, 15.20 Uhr, Informationsbericht Nr. 20
Situation in Leipzig
Die Demonstration konzentriert sich auf die Stadtmitte Leipzig und umfasst ca, 5.000 Menschen, sie konzentrieren sich vor allem auf die FDJ-Bezirksleitung, die LVZ, das Untersuchungsgefängnis und den Rundfunk. Die FDJ-Bezirksleitung wurde bereits mehrere Male umlagert, gestürmt.
Ca. 1.000 Menschen Einrichtungsgegenstände demoliert, Akten durch das Fenster und z.T. auf der Straße verbrannt. Einige Volkspolizisten wurden entwaffnet und der Unfallwagen der VP umgeworfen. Das Gebäude ist z.Zt. vom Klassengegner besetzt. Die FDJ-Bezirksleitung wird von uns verstärkt. Zur Zeit wird ebenfalls versucht, die Leipziger LVZ zu stürmen, in das Gebäude des Rundfunks wurde eingedrungen.
Am Kraft-Werk Dimitroff wurden die Bilder von Stalin und alle Losungen heruntergerissen.
Am Hauptbahnhof, wo sich ebenfalls eine größere Menge von Menschen befinden, wurden die dort eingesetzten Bezirksparteischüler mit Knüppeln und Schraubenschlüssel niedergeschlagen.
Die Kollegen des Postamtes N 8 haben den Betrieb Kraftfahrzeugverkehr umstellt und lassen keine Omnibusse heraus. Die Demonstranten fordern weiterhin in Sprechchören und Transparenten vor allem den Sturz der Regierung.
Freie Wahlen, Butter statt Kanonen, Senkung der Preise und Erhöhung der Löhne.
Und einige Menschen haben an einige Straßenbahnen geschrieben, die weiterhin fahren: Nieder mit der Regierung, fort mit den Russen.
SED Bezirksleitung
Sekretariat
Genossin Baumel
19.00 Uhr, 17.6.53, SED-BL Leipzig
BL Leipzig, Fernschreiben, 17.6.1953, 19.00 Uhr
Informationsbericht Nr. 121 - Situation in Leipzig um 17.00 Uhr
Die feindlichen Elemente, die sich in verminderter Zahl im Stadtgebiet Leipzig aufhalten, konzentrieren sich weiterhin auf einzelne Institutionen in der Stadtmitte und demolieren sie, wie z.B. die FDJ-Bezirksleitung, den SED-Stadtbezirk 11, den Rat des Stadtkreises 2, den Pavillon der NF, HO-Warenhäuser, VEAB und Staatsanwaltschaft. Dabei wurde vor der Bezirksleitung FDJ und im Pavillon der NF von ihnen ein Brand entfacht, die VP-Wache auf dem Hauptbahnhof gestürmt und von jungen Burschen entwaffnet.
Vor der Staatsanwaltschaft befinden sich weiterhin tausend Menschen; einigen Häftlingen ist es gelungen, durch die Fenster im Erdgeschoss zu entfliehen.
In der Richard-Wagner-Straße, in der Nähe des Hauptbahnhofs, sangen sogar etwa 600 Menschen das Deutschlandlied. Am Hauptbahnhof selbst verteilten sich einige Provokateure, die zum Teil sofort von der VP sichergestellt wurden.
Eine neue Erscheinung ist eingetreten, indem im Stadtzentrum in verschiedenen Verkaufsstellen größere Mengen Nahrungsmittel und Brot durch die Bevölkerung aufgekauft werden, und sich größere Menschenmengen vor den Geschäften ansammelten.
Im Stadtgebiet Leipzig wurden sowjetische Soldaten eingesetzt, u.a. einige Panzer. In einigen Fällen wurden von den Soldaten Warnschüsse abgegeben. Ab 19 Uhr wird vom Militärkommandanten in Leipzig der Ausnahmezustand verhängt. Weiterhin wird bekannt, dass die Provokateure in die LVZ eingedrungen sind und versuchen, die Maschinen zu zerstören.
Situation im übrigen Bezirk Leipzig
Nunmehr ist festzustellen, dass auch in einigen anderen Kreisen die Tätigkeit des Klassenfeindes offene Formen annimmt, und einige Arbeitsniederlegungen und Protestdemonstrationen stattfinden.
Die SED-Kreisleitung Delitzsch wurde in den Mittagsstunden gestürmt. Verstärkt durch sowjetische Freunde wurden die feindlichen Elemente vertrieben und die Kreisleitung verstärkt besetzt.
In Liebertwolkwitz, Krs. Leipzig-Land, bewegt sich ein Demonstrationszug von ca. 7 700 (7 700 ?), von ca. 700 Menschen, die in Sprechchören freie Wahlen usw. fordern, durch das Stadtgebiet.
Im Kreis Schmölln ruht seit 16 Uhr die Arbeit im gesamten Betrieb der Präzisions-Werkzeugfabrik Schmölln und die Arbeiter führen gegenwärtig eine Demonstration durch.
Auf den Dörfern des Kreises Altenburg wurden einige feindliche Elemente festgestellt, die die Bauern auffordern, die Milchablieferung einzustellen.
Auf dem Marktplatz Schmölln haben sich einige 100 Menschen angesammelt, wo sie in Sprechchören freie Wahlen usw. fordern. Die Kreisleitung hat Agitatoren eingesetzt, und Vertreter des Rates des Kreises haben über die neuen Verordnungen gesprochen. Der sowjetische Kommandant hat den Ausnahmezustand verhängt.
SED-Bezirksleitung
Parteiinformation
Gen. Schlisch
19.00 Uhr, 17.6.1953
Bezirk Leipzig teilt mit in Ergänzung seiner letzten Meldung:
Die Konzentrationen im Stadtgebiet Leipzig richten sich jetzt vor allem gegen das Ernst-Thälmann-Haus (FDGB-Haus), wo z.Zt. 2.000 Menschen versuchen, einzudringen. KVP macht von der Schusswaffe Gebrauch.
Im Bezirk richtet sich der Klassenfeind vor allem gegen die Kreisleitung unserer Partei in Delitzsch, wo Arbeiter aus den Bitterfelder Betrieben, die in Delitzsch wohnen, die Kreisleitung stürmen.
Mitteilung erfolgte durch Genossen Schlief.
21.35 Uhr, 17.6.53, SED-BL Leipzig
Bezirk Leipzig, 17.6.1953, 21.35 Uhr, Gen. Binder:
122. Situationsbericht
Situation in der Stadt um 20.00 Uhr: In Leipzig wurde der Angriff von ca. 2 000 Menschen auf das "Ernst-Thälmann-Haus" (FDGB-Haus) gemeinsam mit der KVP, die von der Schußwaffe Gebrauch machte, gegen 19.00 Uhr zurückgeschlagen. Es sind einige Sachschäden im Erdgeschoß des Hauses, vor allem in der HO-Lebensmittelverkaufsstelle, entstanden sowie einige Verletzte (KVP) zu verzeichnen. Es blieb nur noch eine kleinere Gruppe von Provokateuren zurück. Ein Teil davon zog gegen 20 Uhr vor eine HO-Verkaufsstelle in der Karl-Liebknecht-Strasse, schlug die Fensterscheiben ein und verbrannte das Emblem der DSF.
Der Klassenfeind konzentriert sich weiterhin auf das Zentrum des Stadtgebietes Leipzig und zwar vor allem auf den SED-Stadtbezirk I, wo ca. 65 und auf den Stadtbezirk III, wo mehrere hundert Provokateure versuchen, die Gebäude zu stürmen. Des weiteren finden Menschenansammlungen in der Nähe des HO-Warenhauses I und der FDJ-Bezirksleitung statt.
Bei Gesprächen von Provokateuren wurde gehört, dass in der Nacht die SED-Bezirksleitung, der Rat des Bezirkes, der Rat der Stadt in Leipzig, das "Karl-Marx-Haus" und das "Ernst-Thälmann-Haus" gestürmt werden sollen.
Es kann festgestellt werden, dass vor allem nur noch die wirklichen Provokateure, meistens Jugendliche, sich weiterhin im Stadtgebiet konzentrieren. Darunter befinden sich auch einige ehemalige Faschisten, wie z.B. SS-Mann Sch. aus Skolbitz bei Halle, der mit Waffen beobachtet wurde.
Übriger Bezirk Leipzig
Die Tätigkeit des Klassenfeindes erstreckt sich im Bezirk Leipzig vor allem auf den Kreis Leipzig-Land, d.h., auf die Randgebiete von Leipzig, z.B. Taucha, Liebertwolkwitz. Im Betrieb IFA-Getriebewerk, Stahl- und Hartgußwerk Boßdorf, Sprio-Werke und Mitteldeutscher Feuerungsbau Holzhausen und das RAW "Einheit" Engelsdorf. Dort wurde in den Nachmittagsstunden ebenfalls die Arbeit niedergelegt und es fanden einige Demonstrationen statt, z.B. in Liebertwolkwitz, Taucha usw. Dabei wurden, wie z.B. in Taucha und Holzhausen die Bilder von Stalin und Pieck und andere Losungen abgerissen.
Im RAW-"Einheit" Engelsdorf fand eine wilde Belegschaftsversammlung statt, in der eine Resolution mit Forderungen, wie Rücktritt der Regierung, Durchführung von geheimen Wahlen und Freilassung aller politischen Häftlinge angenommen wurde. Diese Resolution überreichte eine Delegation der SED-Kreisleitung Leipzig-Land, der u.a. der Werkleiter Genosse K., der BGL-Vorsitzende Genosse K., D. und Kollege S. angehörten. Sie stellten die Forderung, diese Resolution sofort im Rundfunk zu verlesen, und, dass, wenn diese Resolution nicht verwirklicht wird, der Streik erfolgt.
Im Mitteldeutschen Feuerungsbau wurde, wie ebenfalls im IFA-Getriebe Werk Liebertwolkwitz und Sprio-Werk Holzhausen, eine Streikleitung gebildet, die im Mitteldeutschen Feuerungsbau beschloß, dass alle Mitglieder unserer Partei aus dem Betrieb entfernt werden, was daraufhin auch geschah.
In Schkeuditz wurde durch die VP ein Wagen mit Waffen beschlagnahmt.
Aus den übrigen Bezirken liegen keine weiteren Meldungen vor, bis auf den Kreis Eilenburg, wo wiederum Arbeiter aus den Bitterfelder Betrieben, die in diesem Kreis wohnen, versuchen, die Arbeiter des Eilenburger Zellulose-Werk und von Kleinbetrieben des Ortes Düben aufzuhetzen, was ihnen bisher im allgemeinen nicht gelang.
SED-Bezirksleitung Leipzig
gez.: Uhlig
2.55 Uhr, 18.6.53, SED-BL Leipzig
Durchsage der BL Leipzig, Genosse Wittig
Informationsbericht 123. Information über die politische Lage im Bezirk
Die Lage im Kreis Leipzig Stadt. Als die grössten Ruhestörer auf den öffentlichen Plätzen und öffentlichen Gebäuden beteiligten sich besonders Jugendliche, Oberschüler und Arbeitsscheue u. asoziale Elemente. Wo ein fester Kern der Partei vorhanden ist, ist eine klare Lage. In der graphischen Industrie sind keine nennenswerten Arbeitsniederlegungen vorhanden. Besonders bei SAG Bleichert traten am 17.6.1953 - 14.00 Uhr - grosse Unruhen auf, hervorgerufen durch Agenten. Es demonstrierten 2.000 Arbeiter aus diesem Betrieb. In der Leipziger Baumwollspinnerei wurde den ganzen Tag nicht gearbeitet. Aber demonstriert. Nicht alle Streikenden demonstrierten. Im Kirow-Werk traten 300 - 400 Kollegen in den Streik. Davon beteiligten sich 200 an der Demonstration, die sich nach einigen 100 m wieder zerstreute. Vor den Plakaten, die den Ausnahmezustand erklären, sagten Arbeiter und Arbeiterinnen, das haben die faschistischen Rowdys eingebrockt. Die Bevölkerung nimmt Angstkäufe von Brot vor (3-5 Stück pro Käufer). Es ist notwendig, den Brotverkauf in den Betrieben zu regeln. (Konsum bäckt die ganze Nacht Brot). Bei allen ruhestörenden Aktionen war festzustellen, dass Agenten und Provokateure eine rege Tätigkeit entfalteten. (Autos, Motorräder usw.). Die Parteihäuser und Gebäude der staatlichen Organe sind von unseren Genossen besetzt und teilweise durch Arbeiter aus den Betrieben verstärkt. Die Zimmerer und Bauarbeiter wollen den Streik und die Demonstrationen durchsetzen und bis Freitag den Generalstreik erzwingen. Nach bisherigen Meldungen besteht die Möglichkeit, dass die Streiks weitergehen. Da noch keine Ernüchterung der Ruhestörer eingetreten ist, fordert die Kreisleitung Leipzig Stadt energische und härtere Massnahmen. Es zeigt sich noch folgendes: dass in den Betrieben PPG, Schumann und Co, Kirow-Werk, Ifa, Blechzerformungswerk die Genossen sofort bereit waren, Massnahmen gegen die Ruhestörer zu ergreifen, und es wurde festgestellt, dass die Betriebe von unseren Genossen besetzt sind. In mehreren Betrieben haben Genossen der BGL an der Organisierung der Streiks teilgenommen.
Die Lage im übrigen Bezirk
Die Tätigkeit des Klassenfeindes konzentrierte sich vor allem auf die Kreise Leipzig Land, Delitzsch, Eilenburg, Schmölln und Döbeln. Im Kreis Leipzig Land haben zahlreiche Schwerpunktbetriebe, ausgehend von einigen Bauarbeitern, in Schkeuditz und Arbeiter des IFA-Getriebewerkes Liebertwolkwitz im Laufe des Tages die Arbeit niedergelegt und Demonstrationen durchgeführt, wobei Bilder und Transparente vernichtet wurden. In mehreren Betrieben, wie z.B. IFA-Getriebewerk Liebertwolkwitz, Mitteldeutscher Feuerungsbau und Spirowerk Holzhausen, Streikleitungen gebildet, die vor den Betrieben aufzogen, aber z.Zt. zum großen Teil entweder durch Diskussionen oder Verhaftungen entfernt wurden. In allen Betrieben haben die Partei- und Werkleitungen in den Abendstunden wieder die Führung der Betriebe in die Hände genommen. In den Nachtstunden fanden Ansammlungen - vor allem in Böhlitz-Ehrenberg - statt, wobei Losungen und Transparente zerstört wurden. Soweit über dies in Schkeuditz und Eythra. In jedem Falle wurden die Ansammlungen zerstreut.
Ein weiterer Schwerpunkt der Feindarbeit war das dreimalige Stürmen der SED-Kreisleitung Delitzsch durch Bitterfelder Arbeiter, die in Delitzsch wohnen. Dabei gelang es 30 Arbeitern bei dem ersten Ansturm in die Kreisleitung einzudringen und einige Schäden anzurichten. Die weiteren Angriffe wurden zurückgeschlagen und die Kreisleitung Delitzsch befindet sich fest in unseren Händen. Daraufhin wurde in Delitzsch durch die Bitterfelder Arbeiter versucht, das VP-Kreisamt und die SED-Stadtbezirksleitung Ernst-Thälmann zu stürmen. Dabei wurde das Deutschlandlied gesungen. Die VP, die angriff, erschoß zwei Provokateure. Einige Provokateure konnten verhaftet werden. In einer Waldung wurde ein Lastkraftwagen gesichtet, der mit Bitterfelder Arbeitern besetzt war, die Handfeuerwaffen bei sich hatten. Die VP hat Maßnahmen eingeleitet. Auswirkungen der aufgehetzten und von Provokateuren geführten Schachtarbeiter aus Bitterfeld gab es auch im Kreise Eilenburg. Sie versuchten, die Arbeiter in den Eilenburger Zelluloidwerken zum Streik aufzurufen, was verhindert werden konnte. Eine Demonstration wurde von ca. 200, meist Jugendlichen, in Düben durchgeführt. Dabei schlugen sie einige Fenster des Rathauses ein und drangen in die Arbeitsräume der OPO Düben ein, belästigten die Funktionäre und zerschnitten die Telefonleitung. Ein weiterer Schwerpunkt der feindlichen Tätigkeit war die Stadt Schmölln. Dort konnten Provokateure, ausgehend von der Präzisionswerkzeugfabrik Schmölln, erreichen, daß sich über 500 Menschen auf dem Marktplatz versammelten, wo ein Genosse N. eine Hetzrede hielt und zum Schluß das Lied: "Brüder zur Sonne, zur Freiheit..." singen ließ. Nachdem 20 Volkspolizisten den Befehlen zur Räumung des Marktplatzes nicht nachkamen, haben sowjetische Soldaten den Marktplatz geräumt. Auf dem Marktplatz befanden sich zahlreiche Geschäftsleute und Jugendliche. Während aus den übrigen Kreisen berichtet wird, daß nur heftige und zahlreiche Diskussionen über die Ereignisse in Berlin geführt werden und in einzelnen Fällen, wie z.B. am Bahnhof Großbothen, Kreis Grimma, Transparente und Bilder vernichtet wurden, ist aus dem Kreis Döbeln bekannt, daß im Schmiedewerk "Hermann Matern" in Roßwein die Arbeit einige Zeit ruhte. Ein Lautsprecherwagen fuhr einige Male unmittelbar an der Haftanstalt in Waldheim vorbei, so daß die Insassen Kenntnis von der politischen Lage erhielten. Sie hingen deshalb an den Gittern und randalierten.
Im gesamten Kreis Borna - außer dem VEB Plasta Espenhain - sind noch keine Anzeichen für eine stärkere Beunruhigung oder für eine Arbeitsniederlegung bekannt. Alle Betriebe sind gesichert und die Kreisleitung Borna ist der Meinung, daß gegenwärtig keine Anzeichen für ernsthafte Erscheinungen und Arbeitsniederlegungen für den 18.6.53 vorhanden sind. Aus den Dörfern des Bezirkes Leipzig liegen keinerlei Anzeichen einer einzelnen Tätigkeit des Klassenfeindes vor. In mehreren Fällen wurden offene und verstärkte Drohungen, z.B. Briefe und Anrufe gegen Funktionäre und Mitglieder unserer Partei, wie z.B. ein Drohbrief an den Genossen Weise, OPO-Sekretär von Gaithain und auch an einige fortschrittliche Menschen, wie den CDU-Kreissekretär von Grimma, durch den Klassenfeind durchgeführt. Im Kreis Gaithain wurde festgestellt, daß die Bevölkerung gegenwärtig im verstärkten Maße die westlichen Hetzsender hört und es wurden daraufhin Agitatoren unserer Partei in den Betrieben eingesetzt.
In Kemlitz, Kreis Oschatz, wurden einige Hakenkreuze angebracht. Auch über die im Bezirk Leipzig durchgeführten klassenfeindlichen Agitationen kann gesagt werden, daß sie in fast allen Fällen von Provokateuren, meistens Jugendlichen, organisiert wurden und der größte Teil der Arbeiter sich nicht voll im klaren über die Bedeutung ihrer Handlungen war. Das beweisen einige Beispiele aus dem Kreis Leipzig-Land, wo z.B. zahlreiche Kollegen in Schkeuditz, u.a. die Kollegen der Dampfziegelei, nach der Demonstration sagten, daß sie nie wieder an einer derartigen Demonstration teilnehmen werden und sie nicht wissen, warum sie eigentlich mitgemacht hätten.
Wie wird die Situation für den 18.6.53 eingeschätzt?
Obwohl alle Kreisleitungen, außer Döbeln, Eilenburg, Gaithain und Grimma davon berichten, daß Anzeichen für Arbeitsniederlegungen nicht vorhanden sind, wird angenommen, daß in einer ganzen Reihe von Betrieben, vor allem in den Kreisen Eilenburg und Delitzsch, sowie Altenburg, Schmölln und Borna - zeitweilige Arbeitsniederlegungen in den Morgenstunden des 18.6.53 stattfinden werden.
Bisher wurden von den Kreisleitungen Arbeitsniederlegungen für folgende Betriebe vorausgesagt.
Döbeln: Schmiedewerk "Hermann Matern" in Roßwein,
Tewa Döbeln - VEB Harta - Hausschuhwerke Harga
Hammerschuhfabrik Roßwein.
Eilenburg: Eilenburger Zelluloidwerke - Werkzeugmaschinenfabrik
Düben - Gaithain - Bau-Union Bad Lausick - Mewa Gaithain
Altenburg: WMW Maschinenfabrik Meuselwitz - Bau-Union Jena
Anzeichen für eine verstärkte Tätigkeit des Klassenfeindes auf dem Dorf sind vor allem aus dem Kreis Leipzig-Land und Altenburg bekannt.
Im Kreis Leipzig-Land, vor allem in den Orten Breitenfeld, Holzhausen und einigen Orten im westlichen Teil des Kreises bereiten die Großbauern die Bestürmung der LPG am 18.6.53 vor. Im Kreis Altenburg wurden die Bauern aufgehetzt, durch einzelne feindliche Elemente nicht mehr - auch keine Milch mehr - abzuliefern.
Wie sind die Sicherungsmaßnahmen durchgeführt worden?
Aus allen Kreisen liegen Informationen vor, daß noch im Laufe des Tages die wichtigsten Betriebe und öffentliche Gebäude und vor allem auch die SED-Kreisleitungen durch verantwortliche Genossen und teilweise VP verstärkt wurden, Operativstäbe in den Kreisen und Betrieben gebildet wurden und in einigen Kreisen wie Eilenburg und Delitzsch Nachtstreifen durch Genossen, gemeinsam mit der VP, in den Städten und Orten organisiert wurden.
Die Kreisleitung Leipzig-Land hat alle MTS verstärkt, um u.a. den Schutz der Stalinez-4 zu garantieren. Unserer Meinung nach ist aber in den meisten Kreisen ein ungenügender Schutz der MTS und LPG organisiert worden, und es wird dabei von den Genossen in den Kreisleitungen nicht im vollen Maße die Verschärfung des Klassenkampfes auf dem Dorf gesehen. Einige Kreisleitungen wie Schmölln und Gaithain konnten nur berichten, daß die Sicherungsmaßnahmen über die Parteileitungen angeleitet sind, aber noch nicht in der Lage waren, zu berichten, daß die Sicherheitsmaßnahmen bereits durchgeführt sind.
Die Kreissekretariate Wurzen, Grimma, Borna, Gaithain und Altenburg wurden von den Abteilungsleitern der Bezirksleitung kontrolliert und so eingeschätzt, daß sie in der Lage sind, die Dinge zu meistern, und die Fäden in der Hand haben. Schwächen gibt es besonders im Kreisapparat Döbeln, weil die Genossen dieses Sekretariats neu sind und noch keinen umfassenden Überblick haben. In den Kreisleitungen wurden Operativstäbe gebildet. Die Kreisleitungen haben mit den Sekretären aus den Betrieben gestern abend Beratungen durchgeführt. Die meisten Genossen Sekretäre brachten zum Ausdruck, daß sie in der Lage sind, in ihren Betrieben die Ordnung aufrechtzuerhalten.
[Quelle: SAPMO-BArch, NY 4062/94, Bl. 35-45.]
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