[SPD-PV Ostbüro]
Quelle: 20770 29.6.53 - ro. -
7 Expl.

Betr.: Streikbericht LEW Hennigsdorf

Quelles Aussagen beschränken sich auf die Zeit bis einschließlich 17.6. (Marsch durch den Westsektor).

Bereits in den Tagen nach dem Bekanntwerden der Normenerhöhung war es im Werk zu Gruppenbildungen und erregten Diskussionen gekommen. Über Ausschreitungen, Verhaftungen etc. weiß Quelle nichts zu berichten.

17.6.53: Um 6.50 Uhr begann die 2. Schicht (Normalschicht). Die Arbeiter des Werkzeugbaues begaben sich nicht an ihre Arbeitsplätze, sondern versammelten sich auf der Hauptfabrikstraße vor dem Tor 1. Es handelte sich zunächst um ca. 40-50 Personen. Als Sprechchöre mit der Forderung nach freien Wahlen, Preissenkung in der HO etc. laut wurden, wurden die Fenster der anliegenden Gebäude aufgerissen und begeisterte Zustimmungen und Anfeuerungen erschallen.

Den Arbeitern des Werkzeugbaues schlossen sich als nächste die Arbeiter der mechanischen Werkstatt an. Arbeiter aus anderen Werkstätten und Angestellte aus den Büros gesellten sich dazu. Der nunmehr versammelten Menge trat als einzigster (sic!) Vertreter der Werkleitung, der BGL und der BPO der Haupttechnologe entgegen und versuchte mit üblichen Phrasen zu beruhigen. Die Angestellten versuchte er mit dem Argument von der Beteiligung abzuhalten, daß für diese kein Streikgrund gegeben sei, da für sie die Normenerhöhung nicht zuträfe. Der Redner wurde niedergeschrieen und mußte abtreten.

Gegen 7.05 Uhr war fast die gesamte Normalschicht und der größte Teil der Angestellten versammelt .Die BGL und die BPO hatte sich zurückgezogen. Während nur wenige im Werk zurückblieben, zog nun ein ungeordneter Zug durch das Tor 1 auf die Straße in Richtung Stahlwerk. Die im Werk stationierte Vopo und der Werkschutz hatten sich zurückgezogen, und die Arbeiterschaft konnte ohne Widerstand das Tor passieren. Der Zug mag aus etwa 4.500-5.000 Personen bestanden haben. Viele Gewerbetreibende schlossen sich auf dem Wege an. Jubelnde Menschen säumten die Straße.

Gemeinsam mit den Arbeitern des Stahlwerkes begab sich die Belegschaft des LEW auf den Weg in Richtung Zonengrenze. „Auf nach Pankow", tönte es. Widerstand wurde nirgends entgegengesetzt. Auf dem Wege durch Westberlin trennte sich Quelle vom Zug.

[Quelle: AdSD, SPD-PV Ostbüro, 0434b, 17.6.1953, Nr. 1677.]