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Bezirk Dresden
Im Elbebezirk fanden am 17. Juni 1953 die größten Proteste und Erhebungen in Dresden, Görlitz, Niesky und Riesa statt; nach Angaben der Volkspolizei gab es in 14 der 17 Stadt- bzw. Landkreise des Bezirks Arbeitsniederlegungen.
In Dresden ging die Initialzündung vom SAG Sachsenwerk Niedersedlitz aus, dem mit über 5.000 Beschäftigten größten Betrieb der Stadt. Die Sachsenwerker bildeten zwei Demonstrationszüge stadteinwärts und forderten die auf dem Weg liegenden Betriebe zum Generalstreik auf. Dazu gehörte der VEB Sächsischer Brücken- und Stahlhochbau, ABUS genannt, mit knapp 1.500 Mitarbeitern. Auf einer gemeinsam mit einem Teil der Sachsenwerker einberufenen Versammlung wurde ein zehnköpfiger "Ausschuß" gewählt, der der Regierung fünf Forderungen übergeben sollte: 1. Rücktritt der Regierung; 2. freie und geheime Wahlen; 3. Freilassung der politischen Gefangenen; 4. Senkung der HO-Preise und 5. Aufhebung der Verschlechterung in der Sozialfürsorge. Zum Vorsitzenden des Gremiums wurde Wilhelm Grothaus gewählt, später einer der bekanntesten Streikführer des 17. Juni.
In den meisten Dresdener Großbetrieben wurde zumindest zeitweilig die Arbeit niedergelegt und gestreikt. Am Nachmittag trafen gleich mehrere Demonstrationszüge im Stadtzentrum ein. Bis zu 20.000 Menschen versammelten sich auf dem Theaterplatz, dem Postplatz, dem Platz der Einheit, am Neustädter Bahnhof und am Hauptbahnhof. Die Erstürmung des Telegrafenamtes scheiterte, Warnschüsse fielen. Sowjetische Truppen marschierten auf, lösten die Versammlungen auf. Trotz des Ausnahmezustandes zogen jedoch bis in die späten Abendstunden Demonstranten durch die Stadt.
Am Organisationsgrad und an den politischen Forderungen gemessen ging der Aufstand in Görlitz am weitesten. In der Grenzstadt begannen die Unruhen in den nahe gelegenen Waggonbaubetrieben. Die Arbeiter bildeten ein Streikkomitee und zogen nach Görlitz, wo sich andere Betriebe dem Demonstrationszug anschlossen. Systematisch wurden Gebäude der SED, der Staatssicherheit, der Massenorganisationen, die Strafvollzugsanstalt und das HO-Kaufhaus besetzt. Danach bewegte sich die Demonstration zum Rathaus der Stadt, wo der Oberbürgermeister seines Amtes enthoben wurde und eine neue Stadtverwaltung ("Stadtkomitee") konstituiert wurde. Die Gefangenen wurden befreit. Die streikenden Arbeiter hatten sich mit der neuen Verwaltung ein ihre Interessen vertretendes Machtorgan geschaffen. Ähnlich wie in Bitterfeld wurde ein klarer politischer Forderungskatalog erhoben. Durch den hohen Anteil von Vertriebenen in der Görlitzer Bevölkerung bekam zudem die Forderung nach Revidierung der Oder-Neiße-Grenzverträge ein besonderes Gewicht. Insgesamt waren schätzungsweise 50.000 Menschen an diesem Tage in Görlitz an den Demonstrationen beteiligt. Erst der Einsatz der sowjetischen Besatzungstruppen nach der Verhängung des "Belagerungszustandes" konnte die weit fortgeschrittene Entwicklung stoppen.
In Niesky stürmten Demonstranten die SED-Kreisleitung und das Gebäude der Staatssicherheit, wo sie auch Waffen erbeuteten. Am Abend meldete die SED-Bezirksleitung, daß die Mitarbeiter der Staatssicherheit in Niesky in den Hundezwinger gesperrt wurden. Sie sollten, so die Meldung, "ein rotes Fahnentuch auffressen." Mit dem Einsatz sowjetischer Panzer und deutscher Polizei wurde am Abend der Aufstand wieder unter Kontrolle gebracht.
[Quellen: Tagesmeldungen vom 17. Juni 1953, in: BA-SAPMO, NY 4062, Nachlaß Heinrich Rau, Materialsammlung über die Vorgänge am 17. Juni 1953 in der Republik, Signatur 94, Bl. 89-98; siehe auch: Hundhausen 1994, Russig 1997 sowie die Arbeiten von Heidi Roth, insbesondere Roth 1999. Vor allen den detaillierten Forschungsarbeiten dieser Autorin ist der gute Wissensstand über den 17. Juni in Sachsen zu verdanken.]
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