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Einleitung

Angesichts des besonderen Stellenwerts der Juni-Ereignisse 1953, als deren wichtigste Dimension die von der Basis ausgehenden Arbeiter-Streiks und Bevölkerungs-Proteste im Bewußtsein der herrschenden SED als existentielle Krise des noch jungen Arbeiter- und Bauern-Staates traumatisch verankert wurden, erstaunt es nicht allzusehr, daß wir mit diesem historischen Ereignis alles andere als einen in der DDR bevorzugt geförderten literarischen Stoff vor uns haben. Viel eher handelte es sich um ein klassisches Tabu-Thema, das jedoch auch in der westdeutschen Literatur nicht gerade massenhaft aufgegriffen worden ist. Die Ursachen für diese Zurückhaltung rührten wohl aus dem historischen Rang dieses Ereignisses, der ihm in beiden deutschen Staaten jeweils zugemessen wurde.

War mit der These vom "konterrevolutionären Putsch" der Versuch verbunden, die existentielle sozialismuseigene Krise aus der DDR-Geschichte herauszukatapultieren, so lag mit der bundesdeutschen Instrumentalisierung zum "Tag der deutschen Einheit" eine ambivalente historische "Annexion" vor, deren gesamtdeutsche identitätsstiftende Kraft sich nicht recht entfalten mochte. So hielt Günter Grass, von dem eines der wenigen Werke zum Thema aus der BRD aus dem Jahre 1966 stammt, in seinem autobiographischen Rückblick von 1999 einen "verregneten Arbeiteraufstand" fest, "der, kaum war er niedergeschlagen, auf den 17. Juni datiert, zur Volkserhebung verfälscht und zum Feiertag verklärt wurde, wobei es im Westen bei jeder Abfeier mehr und mehr Verkehrstote gab" (Mein Jahrhundert, Göttingen 1999).

So können wir auch nur ein einziges, direkt und ausschließlich diesem Thema gewidmetes Werk verzeichnen: Stefan Heyms "Fünf Tage im Juni". Und die Geschichte dieses Buches, bereits 1954 begonnen und bis Ende 1958 vorliegend, verdeutlicht zugleich in exemplarischer Weise, welch eine politische Herausforderung ein den 17. Juni thematisierender literarischer Text für die SED-Führung bedeutete. Trotz umfangreicher und wiederholter Änderungen und Korrekturen in den folgenden Jahren blieb das Buch in der DDR bis kurz vor ihrem Ende 1989 unveröffentlicht, kam jedoch im Jahre 1974 in der Bundesrepublik heraus.

Dieses prominente Beispiel eines "dreißigjährigen Krieges gegen ein Buch" (Herbert Krämer, 1999) zeigt die generell polarisierende deutsch-deutsche Tendenz, die diesem Thema über vierzig Jahre innewohnte. "Konterrevolutionärer Putsch" auf der einen Seite und "Volksaufstand" und nationaler Feiertag auf der anderen Seite ließen für angemessene historische Aufklärungen und sachliche Wertungen zu wenig Raum.

Fragt man nach der literarischen "Verarbeitung" bis 1989, so gab es in jedem Jahrzehnt Texte, in denen der Juni 1953 mehr oder weniger ausführlich - eher letzteres - vorkam, aber vieles davon lohnt sich heute kaum noch zu erwähnen. Jedoch gibt es etliche Erzähl-Spuren von den Juni-Ereignissen, die mehr enthalten als die Illustrierung der beiden entgegengesetzten Wertungen. Von bundesdeutscher Seite liegen verdienstvolle Arbeiten von Heinrich Mohr, Stephan Bock, Johannes Pernkopf u.a. vor, in denen systematisch alle in Frage kommende Texte erfaßt worden sind. Heinrich Mohr hat seine 1978 in diesem Zusammenhang aufgestellte These, daß die Rede der Dichter sich ärmlich ausnehme, gemessen an Größe und Tragik dessen, was im Juni 1953 geschehen sei, im Jahre 1983 aufgrund der nun vorliegenden Texte relativiert.

Im folgenden werden zeitgenössische Materialien und eine Auswahl von literarischen Zeugnissen zum Thema präsentiert. Dabei kann es weniger um Vollständigkeit gehen, als um interessante Akzentuierungen, die geeignet erscheinen, bisherige Sichten zu verifizieren und differenzierende Wahrnehmungsweisen freizulegen sowie polyfunktionale Deutungsmuster zu beleuchten.

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