3. Juni 1953 (Mittwoch)
Um 10.00 Uhr Moskauer Zeit beginnen die Gespräche der Moskauer Führung mit der SED-Delegation über die Lage in der DDR. Eindringlich fordert die KPdSU-Spitze eine schnelle und radikale Änderung des politischen Kurses der SED. Der im Sommer 1952 beschlossene beschleunigte Aufbau des Sozialismus wird als schwerwiegender Fehler bezeichnet. Die Zwangskollektivierung soll gestoppt, der Fünfjahrplan revidiert und der Personenkult um Walter Ulbricht beendet werden.
Telegraphisch kündigen Ulbricht und Anhang den in Ost-Berlin verbliebenen SED-Führungskadern aus Moskau weitreichende Änderungen des politischen Kurses in der DDR an. In Ostberlin kommt daraufhin das SED-Politbüro zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen. Es beschliesst, dass der Druck und die Herausgabe aller Bücher und Broschüren über die II. Parteikonferenz und deren Beschlüsse "sofort einzustellen" sind.
Otto Schön, ein enger Mitarbeiter von Walter Ulbricht, erhält den Auftrag, alle Bücher und Broschüren, die zum 60. Geburtstag Ulbrichts vorbereitet werden bzw. sich im Druck befinden, zu überprüfen. Hinsichtlich der Landwirtschaftspolitik beschließt das SED-Politbüro, dass eine weitere LPG-Propaganda mit Blick auf eine reibungslose Ernteeinbringung unterbleiben soll.
Bestätigt wird zudem eine Anweisung zur besseren Organisation des Informationssystems der SED. Täglich sollen sich die Bezirks-, Kreis- und örtliche Parteisekretäre sowie die Politleiter "über alle Fragen der Entwicklung in ihrem Arbeitsgebiet unterrichten" und das Ergebnis der Zentrale melden.
Protokoll der außerordentlichen Sitzung des Politbüros, 3.6.1953
Ministerialdirektor Blankenhorn vom Bonner Auswärtigen Amt informiert Bundeskanzler Adenauer in einem streng geheimen Fernschreiben über den Stand seiner Gespräche in Washington. Blankenhorn teilt unter anderem mit, dass der amerikanische Außenminister Dulles mit den deutschen Auffassungen weitgehend übereinstimme.
Ministerialdirektor Blankenhorn an Adenauer und Hallstein, 3.6.1953
Vor der Presse in Bonn erklärt Bundeskanzler Adenauer, die Bundesregierung begrüße jede Viermächtekonferenz, die Aussichten auf Erfolg habe; eine Konferenz, die nichts anderes als "Palaver" sei, habe jedoch keinen Sinn. Der Vorstand der SPD fordert am 4. Juni die Bundesregierung in einer Entschließung auf, den drei Alliierten Hohen Kommissaren Verhandlungen mit der sowjetischen Hohen Kommission vorzuschlagen.
Der DDR-Rundfunk überträgt die Rede des SED-Zentralkomitee Mitglieds Otto Schön während einer Mieterversammlung des Aufgangs H in der Stalinallee. Darin ruft Schön unter anderem zur schonungslosen Kritik der Funktionäre der SED und Regierung auf.
Otto Schön, Mitglied des ZK der SED spricht auf einer Mieterversammlung, 3.6.1953
(DDR-Rundfunk)
Ein Hausbewohner der Stalinallee spricht über die Verpflichtungen, 3.6.1953
(DDR-Rundfunk)
Pressestimmen West:
"Der Zone muß geholfen werden" befindet die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" in ihrem Kommentar: "Solange die Sowjets die Hand auf der Zone halten, läßt sich vor allem an der Unfreiheit als solcher dort kaum etwas ändern. Aber es gibt anderes Wichtiges, wobei man helfen könnte. Östlich der Elbe droht eine Hungersnot. Und die geistige Abschnürung dieser Gebiete von Westdeutschland wächst zusehends.
Bei der Ernennung Semjonows zum Oberkommissar wurde angedeutet, daß er Beziehungen mit seinen "westlichen Kollegen" aufnehmen solle. Hier kann man anknüpfen. Die Bundesregierung kann Vorschläge für solche Gespräche an die drei westlichen Oberkommissare herantragen. Sie könnte konkret sagen, auf welche Weise wir die geistige und materiell drohende Not Mitteldeutschlands verringern wollen."
"Der Pfennig macht es", befindet der Berliner "Telegraf" bezüglich der wirtschaftliche Lage in Berlin: "Von der Anerkennung der wirtschaftlichen Benachteiligung Berlins durch seine Insellage bis zur tatkräftigen Abhilfe ist es ein weiter Weg. Aber nun hat das zähe Ringen der Berliner zu einigen neuen Erfolgen geführt. Die Frachthilfe des Bundes, mit der die teure Fahrt durch die Zone ausgeglichen werden soll, wirkt sich allmählich aus. Die Milch wird bereits ab heute in Berlin um drei Pfennig billiger sein. Zwar ist sie dann in Berlin immer noch merklich teurer als in Westdeutschland, aber der Unterschied ist wenigstens nicht mehr gar so kraß."
Pressestimmen Ost:
Das "Neue Deutschland" wünscht sich "Weder Versailles noch Locarno, sondern einen gerechten Friedensvertrag!": "Gerade diesen Erfordernissen einer friedlichen und dauerhaften Lösung der deutschen Frage entspricht die Politik der Sowjetunion, die davon ausgeht, eine Wiederholung des Systems von Versailles und Locarno, "das auf die Versklavung einer großen Nation gerichtet war", aber dem deutschen Militarismus freie Hand ließ, nicht zuzulassen, sondern einen gerechten Friedensvertrag mit Deutschland abzuschließen, der die Schaffung eines einheitlichen, demokratischen, friedliebenden Deutschlands und den nachfolgenden Abzug aller Besatzungstruppen gewährleistet. Es ist diese Politik, die voll und ganz jenen Prinzipien über die Behandlung Deutschlands nach dem Kriege entspricht, auf die sich die Großmächte in der Deklaration von Jalta und den historischen Potsdamer Beschlüssen geeinigt und festgelegt haben."
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