16. Juni 1953 - Teil 3
Die Funktionäre im Ostteil der Stadt sind verunsichert, aber der Ernst der Lage scheint der SED-Spitze immer noch nicht voll bewußt zu sein. Erkennbar wird das bei der außerordentlichen Tagung des Berliner Parteiaktivs der SED im Friedrichstadtpalast um 20.00 Uhr. Wenn die zusammengerufenen 3.000 Parteiaktivisten eine kritische Auseinandersetzung erwartet hatten, wurden sie enttäuscht. Die Reden von Ministerpräsident Otto Grotewohl und Walter Ulbricht sparen die dramatischen Ereignisse des Tages und die Situation auf den Straßen aus.
Ulbricht macht "feindliche Elemente, die aus Westberlin kamen", für Losungen verantwortlich, die "gegen die Friedenspolitik der DDR gerichtet" seien.
Immerhin räumt der SED-Chef ein, das es falsch gewesen sei, auf administrativem Wege Normenerhöhungen zu verfügen. Die SED sei "zu weit vorgeprellt". Als Parole für den nächsten Tag gibt er aus: "Morgen tiefer in die Massen!"
Rede von Walter Ulbricht auf der SED-Parteiaktivtagung im Friedrichstadtpalast, 16.6.1953 (DDR-Rundfunk)
Die SED-Kundgebung im Friedrichstadtpalast wird um 21.42 Uhr beendet. Zu dieser Zeit halten die Demonstrationen und Menschenansammlungen im Stadtzentrum noch an, immer wieder kommt es zu Handgreiflichkeiten und Ausschreitungen. Erst zwischen 23.00 und 24.00 Uhr flauen die Auseinandersetzungen ab. Dafür beschließen bereits die Arbeiter einiger Betriebe am Ende ihrer Spätschicht, am nächsten Morgen in den Streik zu treten.
Um Mitternacht befiehlt das Präsidium der Volkspolizei für den kommenden Tag ab 7.00 Uhr "volle Alarmstufe".
In einer vom RIAS um 22.40 Uhr verbreiteten Ansprache an die Ostberliner warnt der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, Jakob Kaiser, die Ost-Berliner davor, sich zu "gefahrvollen Aktionen verleiten zu lassen" und bittet sie, "im Vertrauen auf unsere Solidarität Besonnenheit zu wahren".
Ansprache von Jakob Kaiser an die Ost-Berliner Bevölkerung (RIAS Berlin) 16.6.1953
Stündlich wiederholt der RIAS in seinen Nachrichtensendungen ab 23.00 Uhr folgende Meldung:
"Arbeiter aller Industriezweige Ostberlins forderten in den Abendstunden besonders nachdrücklich, daß die Ostberliner sich am Mittwoch früh um 7 Uhr am Strausberger Platz zu einer gemeinsamen Demonstration versammeln sollen. Diese Ankündigungen und Aufrufe wurden von verschiedenen Demonstrationsgruppen bekanntgegeben. Vertreter der Arbeiter und anderer Gruppen der Ostberliner Bevölkerung hoben hervor, daß die Bewegung weit über Ostberlin und über den Rahmen einer Protestdemonstration gegen die Normerhöhung hinausgegangen sei."
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