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18. Juni 1953 (Presseschau)

Pressestimmen West:

Der "Mannheimer Morgen" geht in seinem Morgenkommentar "Der Aufstand in Berlin" auf die Situation nach dem Auffahren der sowjetischen Panzer ein: "In Berlin hat jedenfalls zunächst der sowjetische Militärbefehlshaber die Zügel in die Hand genommen. Mit seinen Machtmitteln kann er alle freiheitlichen Regungen der Menschen im Blut ersticken. Die Menschen können auch angesichts der schußbereiten Panzer und Maschinengewehre wieder nach Hause und an die Arbeit gehen. Sie haben jedoch ein unmißverständliches Zeichen gegeben, wie ihnen wirklich zu Mute ist. Die Folgerungen ziehen können indessen nur die, die es jetzt in der Hand haben, den Aufstand zu ersticken. Sie müssen entscheiden, ob sie nun über das von ihnen eingesetzte Regime in der Zone hinweg ein Gespräch beginnen oder was sonst sie tun wollen. Sie könnten dann Ernst machen mit den Leitsätzen, die in Moskau von berufener Seite für die neue Politik ausgegeben wurden. Danach ist es Sache der Arbeiter in jedem Lande, selbst zu entscheiden, ob sie die sozialistische Revolution für nötig und nützlich halten. Die Arbeiter von Berlin haben dagegen entschieden."

Die "Aachener Nachrichten" beschäftigen sich unter der Überschrift "Auf tönernen Füßen" unter anderem mit den Antriebsmotiven des Aufbegehrens: "Im Vordergrunde dieses Geschehens stand die Tatsache, daß der Schreckensbann, mit dem sich das Satellitenregime der SED umgab, gebrochen wurde, daß in einem Augenblick der Schwäche und Ratlosigkeit von Menschen, die der Mut der Verzweiflung trieb, diese Schwäche blitzschnell erkannt und erfaßt wurde. Die langangestaute Empörung brach sich mit überwältigender Kraft Bahn und die zunächst winzige Bresche in den Damm des angsterfüllten Schweigens wurde von Stunde zu Stunde größer. Ein politischer Deichbruch größten Ausmaßes ist derzeit im Gange und im Begriff, von Ostberlin aus die ganze Sowjetzone zu erfassen." Als Fazit wird festgestellt: "Vorläufig ist nur eines klar: der Bankrott der SED-Regierung ist vollkommen und nicht mehr aufzuhalten. Sie hat die Konsequenzen zu ziehen und abzutreten. Je ehre desto besser auch für sie selbst. [...] Eine andere Möglichkeit, das Gesicht zu wahren nach einem Volksaufstand, wie ihn der deutsche Raum seit den Bauernkriegen nicht mehr erlebt hat, dürfte kaum denkbar sein."

Hans-Herbert Gaebel sieht in seinem Kommentar für die "Frankfurter Rundschau" ("Freie Wahlen für die Zone") Auswirkungen auf die Diskussion über die Wiederherstellung der Einheit: "Ein untrüglicher Instinkt ließ die Maurer und Weißbinder aus der Stalinallee zu rechten Zeit marschieren; denn es geht jetzt nicht mehr um die Senkung der wahnsinnigen neuen Arbeitsnormen - ihr Schrei wird immer lauter: "Wir wollen freie Wahlen!" Damit hat Moskau bestimmt nicht gerechnet. Aber wollen die Herren im Kreml nicht, wie sie immer betonen, über die Wiederherstellung eines eigenen, friedliebenden, demokratischen Deutschlands mit den Westmächten verhandeln? Sind nicht gerade freie Wahlen die Bedingung, von der die Westmächte, die Bundesrepublik weder abgehen wollen noch können? Die Sowjets waren in dieser Frage immer wieder ausgewichen. Jetzt werden sie einmal von Arbeitern in ihrem eigenen Machtbereich gezwungen, Rede und Antwort zu stehen. Weichen sie zurück, so verlieren sie das Pfand, noch ehe sie den Preis in die Höhe treiben können; unterdrücken sie jede freiheitliche Regung mit stupider Gewalt, werden sie vorläufig kaum noch Gelegenheit haben, überhaupt in ernsthafte Verhandlungen einzutreten - das Mißtrauen im Westen müßte endgültig die Oberhand gewinnen."

Unter dem Titel "Das Fanal" befaßt sich die "Berliner Morgenpost" mit den Motiven der Aufständischen: "Die Vergangenheit hat uns gelehrt, daß ein Aufstand gegen die kommunistische Diktatur keine Aussicht auf Erfolg hat. Daß die schlecht ernährten und unbewaffneten Arbeiter in Ostberlin es dennoch wagten, zu streiken und sich schließlich in offenem Aufruhr gegen das Gewaltsystem zu wenden, ist sowohl ein Beweis für ihren Mut und ihre Tapferkeit, wie auch ein Zeichen für die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage. Seien wir uns darüber im klaren: hätten die Bewohner Ostberlins auch nur die geringste Hoffnung gehabt, daß sich ihr Schicksal in naher oder ferner Zukunft wenden werde, hätten sie diesen Verzweiflungsschritt, der notwendigerweise Opfer fordern mußte, nicht getan."

"Zerrissenes Trugbild" ist der Titel des Kommentars der Berliner "Neuen Zeitung", in dem unter anderem auf die Rolle mutmaßlicher "kommunistischer Regisseure" eingegangen wird: "Auf die ersten Meldungen über die Vorgänge in der Leipziger Straße hin, wurde hier und da die Frage aufgeworfen, ob es sich vielleicht um eine bestellte Demonstration im Rahmen der kommunistischen Selbstbezichtigungskampagne handeln könne. Zu groß schien die Überlegenheit des totalitären Machtapparates, zu gefährlich die Konsequenzen für jeden, der es wagt, seine eigene Meinung zu äußern. Inzwischen ist von dieser ganzen Frage nur noch die Überlegung übriggeblieben, ob vielleicht einige kommunistische Regisseure zunächst eine begrenzte Propagandaaktion der "Einsicht in die eigenen Fehler" beabsichtigten, die dann ihren Händen entglitt. Eine berechtigte Volksempörung kann man nicht zügeln wie ein Zirkuspferd. Die Freiheit kann man nicht in homöopathischen Dosen verteilen. Die Bevölkerung der Sowjetzone will nicht kleine Reparaturen an dem System der Unterdrückung. Sie will nicht schöne Worte von Ulbricht oder Grotewohl. Sie will die wirkliche und ganze Freiheit."

"Die Welt" beschäftigt sich ebenfalls mit dem "Aufstand in Berlin": "Die mutigen Demonstranten forderten Freiheit schlechthin, nicht nur Freiheit von dieser Regierung. Und sie drohten, selbst wahr zu machen, was man ihnen so lange vorenthielt. Hatte man damit nicht gerechnet? Oder brauchte Semjonow das, um dem Kreml noch einmal vorzuweisen, was mit der forcierten Sowjetisierung angerichtet worden sei? Es ist zu früh, um darauf zu antworten. Bei uns im Westen, wo mancher sich getröstet hat mit dem Hinweis, die Verhältnisse in der Ostzone seien ja gar nicht so schlimm, sollte der 15. und 16. Juni jedoch nicht mehr vergessen sein. Wer aufsteht, um gegen einen kommunistischen Herrn zu rebellieren, bei dem muß das Maß des Leidens so übervoll sein, daß auch kein Tropfen mehr zumutbar wäre."

Mit den Auswirkungen auf die Herrschaft in Ostberlin beschäftigt sich der Kommentar "Herrschaft auf Bajonetten" des Berliner "Kurier": "Diese Herrschaft wird augenscheinlich nicht vom Volk, sondern von den bloßen Machtmitteln der Besatzungsmacht gestützt. Ohne die Panzer der Roten Armee - das hat der gestrige Tag deutlich gemacht - wäre sie längst wie ein Spuk verflogen. Die Frage ist, ob der Kreml sich zu einer Korrektur seiner gescheiterten Deutschlandpolitik entschließen kann. Das dürfte sich über kurz oder lang beim Versuch, zu Viermächte-Verhandlungen zu kommen, ergeben. Bis dahin ist klar, daß mit Brachialgewalt, mit Panzern und Geschützen die kommunistische Herrschaft aufrechterhalten werden soll. Politik ist das nicht. Sie würde in der Erhebung der Arbeiter in Ostberlin und in der Zone eine gewaltige Realität erblicken, die nur die Schlußfolgerung zuläßt: einer echten demokratischen Entwicklung durch Veranstaltung freier Wahlen, wie im übrigen Deutschland, endlich Raum zu geben."

"Der Tag" aus Berlin zeigt unter dem Titel "Wird Moskau begreifen?" Parallelen zur Russischen Revolution auf: "Ausnahmezustand gegen demonstrierende Arbeiter, das ist eine reaktionäre Methode, die den Vätern der bolschewistischen Revolution aus dem zaristischen Rußland noch wohl bekannt ist. Sie haben damals gegen diese Gewalt leidenschaftlich gekämpft. Heute hat sich das Bild umgekehrt. Die alten Kämpfer und ihre Schüler sind "reaktionäre" Machthaber geworden, und es fällt ihnen nichts Besseres ein, als das zu wiederholen, was der zaristische Polizeistaat ihnen selber angetan hat: Sie lassen gegen Arbeiter schießen und stellen sie unter Kriegsrecht. Das ist "geschichtliche Dialektik", aber einmal anders, als der Kommunismus sie lehrt. Sie enthüllt uns den weltweiten Widerwillen unterdrückter Völker und geschundener Arbeiter gegen ein politisches Regime, das ihnen alle Rechte und Freiheiten genommen hat und dazu noch erklärt, daß dies ein paradiesischer Zustand sei."

Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" warnt unter Überschrift "Aufruhr" vor den Konsequenzen des Aufstandes: "Eine andere Frage ist es, ob man wünschen sollte, daß die Kundgebungen andauerten. Schon hat es Tote gegeben. Wahrscheinlich wäre es auch aus allgemein politischen Gesichtspunkten nützlich, wenn in Berlin wieder Ruhe einkehrte. So wenig wie man über die Ursprünge der Kundgebungen weiß, so wenig ist es jetzt bereits möglich, etwas über die Folgen auszusagen. Die Berliner haben vor aller Welt, die die Vorgänge mit angehaltenem Atem verfolgt, ihren Freiheitswillen bekundet. Das muß moralische Wirkungen haben, die Gesamtdeutschland zugute kommen. Aber ein längeres Andauern könnte Ergebnisse haben, die ins Gegenteil umschlügen. Grotewohl und Ulbricht, ohnehin seit dem russischen Kurswechsel sicherlich von schweren Ängsten um ihre Politik wie um ihre persönliche Zukunft gepeinigt - werden sie sich nicht jetzt vorwurfsvoll nach Moskau wenden mit dem Hinweis darauf, man sehe, wozu der Kurs der Wahrheit führe? Könnte nicht in Moskau eine Verhärtung statt einer Erweichung eintreten? Alles liegt noch im dunkeln, aber jede Seite der Ereignisse will erwogen werden."

Pressestimmen Ost:

Das "Neue Deutschland" aus Berlin kommentiert unter dem Titel "Was ist in Berlin geschehen?": "Die Provokation ist zusammengebrochen. An dieser Tatsache kommen die westlichen Agenturen nicht vorbei, mögen sie noch so viel schreien. Es gelang ihnen, eine Reihe von Betrieben stillzulegen. Der Generalstreik, zu dem sie die Berliner Arbeiter verführen wollten, ist nicht gelungen und konnte nicht gelingen, denn daß deutsche Arbeiter im Auftrag und Interesse der amerikanischen und deutschen Monopolkapitalisten gegen ihre eigenen Interessen und ihre eigene Regierung in den Generalstreik treten, ist ein allzu widersinniger Gedanke. Es gelang ihnen, Teile der Bevölkerung stundenweise zu verwirren und aufzuhetzen, aber die große Mehrheit stand den Provokationen ablehnend oder feindselig gegenüber. Diese große Mehrheit hatte das richtige Bewußtsein: Hier sind die dunklen Kräfte am Werk, die das deutsche Volk zweimal in die Katastrophe stürzten, und was sie bezwecken, ist - das Volk zum drittenmal in die Katastrophe zu stürzen. [...] Aber es ist beschämend, daß deutsche Werktätige auf die durchsichtigen Machenschaften der westberliner Provokateure hereingefallen sind. Es ist beschämend, daß die Arbeiter Berlins die Besudelung ihrer Stadt nicht selber unterbanden, daß erst die Besatzungsmacht durch die Verhängung des Ausnahmezustandes die Lebensinteressen sowohl des deutschen Volkes wie aller Völker mit der erforderlichen Entschiedenheit vertrat."



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