20. Juni 1953 (Samstag) - Presseschau
Pressestimmen West:
Unter der Überschrift "Der Blutzeuge" beschäftigt sich die Berliner "Neue Zeitung" mit der sowjetischen Bekanntgabe der Hinrichtung von Willi Göttling: "Von dieser ganzen "Bekanntmachung" entspricht nur soviel der Wahrheit, daß Göttling Westberliner ist und den Tod erleiden mußte. Alles andere ist erfunden und formuliert nach einem Muster, das man von kommunistischen Justizkomödien zur Genüge kennt, um die nackte und brutale Tatsache zu rechtfertigen, daß die Sowjets einen Berliner ergriffen, der mir den Vorgängen am 16. und 17. Juni gar nichts zu tun hatte, und ihn als Exempel sowjetischer "Rechtsauffassung" ums Leben brachten. Willi Göttling, arbeitsloser Maler, Vater zweier Kinder, seit dem Kriege ein herzkranker Mann, hatte am Dienstagmorgen gegen 9.30 Uhr seine Wohnung verlassen, um zum Facharbeitsamt in der Sonnenallee zu fahren. Dazu mußte er die U-Bahn benutzen, die ein Stück durch den sowjetischen Sektor führt. Das wurde ihm zum Verhängnis. [...] Aber Göttling hatte seinen Wohnsitz in Westberlin, und das bereits genügte offensichtlich der sowjetischen Militärjustiz, um aus ihm einen Zeugen für die Behauptung zu machen, daß westliche Agenten die Volkserhebung des 16. und 17. Juni angestiftet hätten. In Wahrheit machten sie Willi Göttling zum Blutzeugen für skrupellose Willkür und Unmenschlichkeit."
In seinen "Bemerkungen zur Lage" beschäftigt sich der Berliner "Tagesspiegel" mit der sowjetischen Besatzungsmacht: "Es wird immer klarer, daß die Sowjets das von ihnen beherrschte deutsche Gebiet darum so hermetisch abgesperrt haben, weil sie die Nachrichten fürchten, die jetzt von dort in die Welt gehen würden - Nachrichten von dem Aufstand in der gesamten Sowjetzone wie von den heimtückisch-brutalen Repressalien gegen die Bevölkerung. Sie können trotzdem nicht verhindern, daß man weiß, was vorgeht, und selbst wenn sie jede einzelne Nachrichtenquelle und jede einzelne Spählücke verstopfen könnten, würde man die Wirklichkeit kennen. Überdies treibt sie zu Rachgier und Mordrausch das Gefühl, daß diese Junitage ihnen für alle Zeiten etwas genommen haben, was vorher als ihre unverbrüchliche Spezialität erschien. Das Magiertum der "Volksdemokratie" mit dem Byzantinismus der Geknechteten und der Haltbarkeit der Sklavenketten ist sogar vor den Blinden als Märchenrausch kompromittiert. So steht vor den Sowjets das Wort Berlin wie Flammenschrift. Hier fing der Aufstand an, hier nur konnte er anfangen."
Pressestimmen Ost:
Über "Die nächsten Aufgaben" handelt der Kommentar des "Neuen Deutschland": "Außerdem müssen nun, wie schon Ministerpräsident Grotewohl und der Generalsekretär des ZK der SED, Walter Ulbricht, auf der Tagung des Berliner Parteiaktivs erklärten, die notwendigen Maßnahmen eingeleitet werden, um den Fünfjahrplan im Sinne einer beträchtlichen Vergrößerung der Produktion von Waren des Massenbedarfs und im Sinne der Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und Industriewaren zu überprüfen. Dazu wird es notwendig sein, eine gewisse Einschränkung des Entwicklungstempos der Schwerindustrie in Kauf zu nehmen sowie eine gewisse Einschränkung des Umfangs unserer Industriebauten. Aber die Vergrößerung der Erzeugung von Waren des Massenbedarfs ist gegenwärtig die wichtigste wirtschaftliche Aufgabe. Durch die Lösung dieser Aufgabe wird sich das Lebensniveau der Bevölkerung der DDR weiter heben. Die Deutsche Demokratische Republik wird zu Anziehungspunkt für die Bevölkerung Westdeutschlands werden.
[...] Der neue Kurs der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik besteht in der Hinwendung zu diesen neuen Aufgaben, deren Ziel die Verbesserung der Lebenslage der Bevölkerung ist. Die faschistischen Organisatoren der Unruhen vom 17. Juni wollten verhindern, daß der neue Kurs verwirklicht wird. Das ist ihnen nicht gelungen. Die unbeugsame Durchführung des neuen Kurses und der Kampf für die Verbesserung der Lage der Bevölkerung ist die Hauptaufgabe aller Organisationen und aller Teile der Verwaltung."
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