20. Juni 1953 (Samstag) - Teil 3
Die SED-Führung hält es außerdem für nicht zweckmäßig, den Ausnahmezustand und die Maßnahmen zur Absperrung der Sektorengrenzen aufzuheben. Als Begründung wird das Anhalten von "faschistischen Provokationen" und die abwartende Haltung "gewisser Teile der Bevölkerung" angeführt. Während der Politbürositzung kommt es zur Berichterstattung über die Lage in den Bezirken Dresden (Elli Schmidt), Halle (Fred Oelßner), Magdeburg (Hermann Matern), Leipzig (Heinrich Rau), Potsdam (Erich Honecker) und Erfurt (Erich Mückenberger). In den Berichten werden unter anderem die Verbitterung der Arbeiter und das Ausmaß der Desorientierung des Parteiapparates thematisiert.
Protokolle der SED-Politbürositzungen, 20.6.1953
Dass es an Toleranz gegenüber Andersdenkenden, beispielsweise jungen Christen, weiterhin mangelt, zeigt ein Beschwerdebrief an Ministerpräsident Grotewohl über die Zustände an der Oberschule Pößneck.
Beschwerdebrief über die Zustände an der Oberschule in Pößneck, 20.6.1953
Am Abend findet eine Besprechung der SED-Führung im Hauptquartier der sowjetischen Besatzungsmacht in Berlin-Karlshorst statt. Rudolf Herrnstadt erinnerte sich später daran, dass die Deutschen gefragt werden, was sie von einer Aufhebung des Ausnahmezustandes halten. Ulbricht, Grotewohl und der Staatssicherheitsminister Zaisser weisen darauf hin, dass eine Aufhebung noch zu früh sei, da die deutschen Polizeikräfte weder ausreichend bewaffnet noch der Situation entsprechend organisiert sind. Es wird eine sofortige Verbesserung der Bewaffnung beschlossen. Darüber hinaus empfiehlt der Hohe Kommissar, dass sich die Genossen des Politbüros in die Schwerpunktbetriebe begeben sollten.
In Marburg an der Lahn protestieren rund 3.000 Studenten gegen die Niederschlagung des Aufstandes vom 17. Juni 1953 in der DDR. Sie ziehen in einem Schweigemarsch durch die Stadt. - In München kommt es zur gleichen Zeit zu einem Massenprotest und gewalttätigen Auseinandersetzungen wegen der Verlängerung der Ladenschlusszeiten.
Das Auswärtige Amt der Bundesregierung gibt einen Runderlass für seine Mitarbeiter heraus. Darin werden sie gebeten, sich in Gesprächen mit ausländischen Persönlichkeiten an vom Auswärtigen Amt vorgegebene "Gesichtspunkten" zu orientieren, wenn es in den Gesprächen um die Ereignisse des 17. Juni 1953 in der DDR geht. Der Runderlass hebt hervor, dass "hier zum ersten Mal in der Geschichte die Arbeiterschaft eines Landes im Namen der Freiheit und der sozialen Besserstellung gegen ein kommunistisches Regime revoltiert" habe. Der 17. Juni zeige, "dass eine endgültige Lösung der deutschen Frage nicht nur dem Sicherheitsbedürfnis Deutschlands, sondern auch dem aller seiner Nachbarn, einschliesslich der Sowjetunion, wird Rechnung tragen müssen."
Runderlass des Staatssekretärs Hallstein, 20.6.1953
Nicht nur die SED-Führung und die DDR-Staatssicherheit, auch der westdeutsche Geheimdienst, die "Organisation Gehlen", glaubt daran, dass die Aktionen des
17. Juni von oben gesteuert worden sein könnten. In einem Schreiben der Gehlen-Zentrale vom 20. Juni 1953 heisst es:
"Der bisherige Gesamteindruck über die Vorgänge in Ostberlin und in der Zone verstärkt die Auffassung, dass es sich um von östlicher
Seite inszenierte Aktionen mit dem Ziel handelt, die Wiedervereinigung im großdeutschen Rahmen zugunsten anderer wichtiger außen-
oder innenpolitischer Absichten ins Rollen zu bringen.
Als erste Phase wurde vermutlich die Ausschaltung des diesen Absichten entgegenwirkenden Momentes in Gestalt der bisherigen
ostzonalen Politiker ins Auge gefasst. Die Aktion ging jedoch über den gewünschten Rahmen durch das Eingreifen unvermuteter
Widerstandskräfte hinaus."
Den westdeutschen Geheimdienstlern wird deshalb der Auftrag erteilt, insbesondere zwei Fragen nachzugehen: ob der Termin der Aktion
tatsächlich von oben gesteuert gewesen sei und in welcher Form sie erfolgte.
Schreiben der Organisation Gehlen zur politischen Gesamtlage in der DDR, 20.6.1953
|
|
> Presseschau
|